Karrierethemen

New-Work-Expertin Sara Weber
New-Work-Expertin Sara Weber (Foto: Maya Claussen)
New Work | Interview

„Wir brauchen Regeln für flexibleres Arbeiten“

New-Work-Expertin Sara Weber setzt sich für eine gesündere Arbeitswelt ein. Die braucht es dringend, wenn die Beschäftigten nicht an ihr Limit gebracht werden sollen.

Woran krankt die Arbeitswelt? Um diese Frage geht es in Sara Webers kürzlich erschienenem Buch. Lösungsansätze für eine gesündere und gerechtere Arbeitswelt liefert sie gleich mit. Als Redaktionsleiterin von LinkedIn war Weber lange das Gesicht des Netzwerks in Deutschland. Dann reichte sie die Kündigung ein, setzte sich an den Schreibtisch und verfasste 224 Seiten, die unter folgendem Titel veröffentlicht wurden: „Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten?“. Inzwischen gilt sie als New-Work-Expertin.

Frau Weber, einer Ihrer Gastbeiträge begann mit der Frage: Muss meine Arbeit mich glücklich machen? Ihre Antwort lautete Nein. Warum?

Sara Weber: Die kurze Antwort lautete „Nein“, die längere hingegen „Darf sie, aber muss sie nicht“. Ich glaube, das ist der Knackpunkt. Wir sind dazu übergegangen, sehr viel Sinnhaftigkeit aus unserer Arbeit zu ziehen und dafür andere Bereiche hintanzustellen. Also zu sagen, „Die Arbeit muss mich wahnsinnig glücklich machen“ und nicht „Andere Dinge im Leben dürfen mich vielleicht auch glücklich machen“. Natürlich ist es schön, einen tollen Job zu haben, der einem Freude bereitet. Aber alles aus dieser Arbeit ziehen zu wollen, finde ich schwierig.

Bis 2021 waren Sie Redaktionsleiterin bei LinkedIn. Warum haben Sie diesen doch sicher tollen Job gekündigt?

Es war wirklich ein toller und, wie meistens im Journalismus, sinnvoller Job. Doch zum einen hatte ich nach fünf Jahren das Gefühl, dass es für mich der richtige Zeitpunkt war, weiterzuziehen. Denn ich hatte alles erreicht, was ich erreichen wollte, und mein Team stand gut da. Zum anderen war ich ein Jahr nach Pandemie-Beginn an einem Punkt, an dem mir bewusst wurde, dass ich überarbeitet und gestresst bin, dass ich eine Pause brauche. Und weil ich in der wirklich privilegierten Situation war, mir diese auch leisten zu können, zog ich einen Schlussstrich.

In der folgenden Zeit erschien Ihr erstes Buch, in dem Sie schreiben, dass die Arbeitswelt große Probleme hat. Welche sind das?

Der Stress und die Arbeitslast zum Beispiel, die in den vergangenen Jahren stark zugenommen haben. Viele Menschen sagen, dass Schule, Studium und Job bei ihrem Stress eine große Rolle spielen. Ein weiteres Thema ist die Arbeitsverdichtung: Jobs, die früher von mehreren Personen ausgeführt wurden, liegen heute oft nur bei einer Person.

Woran krankt unsere Arbeitswelt außerdem?

Daran, dass es noch keine guten Regeln für flexibleres Arbeiten gibt und es nach wie vor an Gleichberechtigung hapert. Das zeigt sich zum Beispiel an der Sorgearbeit, die immer noch größtenteils von Frauen übernommen wird und zur Erwerbsarbeit hinzukommt. Außerdem geht die Schere zwischen guten und schlechten Jobs immer weiter auf. Zwischen den Menschen, die relativ bequem im Homeoffice arbeiten, und denen, die dieses Leben ermöglichen, während sie oft nicht gut bezahlt werden und unter schwierigen Bedingungen arbeiten. Das sorgt für wachsende Ungerechtigkeit.


„Zeit und Produktivität hängen nicht eins zu eins zusammen. Wenn wir mehr arbeiten, sind wir nicht automatisch produktiver.“

– Sara Weber

Wie lässt sich die Arbeitswelt reparieren?

Ein wichtiger Punkt ist die Arbeitszeit. So haben wir seit den 1960er-Jahren das Fünf-Tage-Modell beziehungsweise die 40-Stunden-Woche. In derselben Zeit haben wir bessere Technologien entwickelt, es gibt mehr erwerbstätige Frauen und die Produktivität ist stark gestiegen. Das hat die Vollzeit-Arbeitszeit aber nicht beeinflusst. Und die Menschen, für die das nicht funktioniert, die sich für Teilzeit entscheiden, darunter viele Frauen und Mütter, müssen oft große Gehaltseinbußen hinnehmen. Das zementiert zum Beispiel auch Strukturen wie die ungerechte Aufteilung der Sorgearbeit. Eine Lösung dafür wäre, die Vollzeit zu verkürzen. Das klassische Beispiel ist die Vier-Tage-Woche, wobei es verschiedenen Modelle gibt. Wir sehen auch durch Tests in einigen Ländern und Unternehmen, dass das gut funktioniert.

Um welche Länder handelt es sich?

Island zum Beispiel. Dort arbeiten fast alle Erwerbstätigen nur noch 35 bis 36 statt der üblichen 40 Stunden – und zwar bei gleicher Bezahlung. Zuvor gab es zwei große Tests, einen von der isländische Regierung, einen in der Stadtverwaltung von Reykjavik. Dabei kamen unterschiedliche Arbeitsmodelle zum Einsatz, und die Ergebnisse waren durchweg positiv. Auch in England lief kürzlich ein Test mit der Vier-Tage-Woche. Erste Auswertungen ergaben, dass die Produktivität gleich geblieben ist oder sich sogar verbessert hat und dass die meisten beteiligten Unternehmen die Vier-Tage-Woche wahrscheinlich beibehalten wollen.

Warum gibt es in Deutschland bisher keine so groß angelegten und wissenschaftlich begleiteten Tests?

Weil es seitens der Politik noch an der nötigen Bereitschaft fehlt. Wir hören von vielen Politiker:innen, dass alle mehr arbeiten sollen, wir die 42-Stunden-Woche brauchen. Und das ist für mich die absolut falsche Richtung. Zeit und Produktivität hängen nicht eins zu eins zusammen. Wenn wir mehr arbeiten, sind wir nicht automatisch produktiver. Zudem wissen wir: Menschen, die länger arbeiten, haben ein höheres Stresslevel und ein höheres Risiko, zu erkranken.

Welche Arbeitsmodelle könnten helfen?

Solche, die mehr Flexibilität erlauben. Dass das möglich ist, haben wir in der Pandemie gesehen, als viele Menschen ins Homeoffice gewechselt sind. Allerdings braucht es Regeln, damit das nachhaltig gut funktioniert. Schließlich wissen wir inzwischen, dass Remote oder Mobile Work auch Schattenseiten hat. Zwar ist beides flexibler, Pendelwege fallen weg und Job und Sorgearbeit lassen sich besser unter einen Hut bringen. Doch gleichzeitig kann es zu noch mehr Überarbeitung führen, weil die Grenzen zwischen Job und dem übrigen Leben verschwimmen. Um das zu verhindern, müssen wir überlegen, wie wir das Ganze strukturieren, wie wir miteinander kommunizieren und was die Erwartungen sind.


„Wir haben in Deutschland genug Geld, müssen es nur richtig verteilen.“

– Sara Weber

Sie fordern, dass Menschen genug Geld verdienen müssen, um ohne Angst vor der Zukunft leben zu können. Wie soll das möglich sein?

Der angehobene Mindestlohn geht in die richtige Richtung. Wichtig ist aber auch, gerade in prekären Berufen, dass die Stundenzahl nicht massiv gekürzt und dadurch an anderer Stelle gespart wird. Das sind Dinge, wo man politisch gegenwirken kann. Oder auch die Minijobs, die besonders in Kombination mit dem Ehegattensplitting dazu führen, dass Frauen in Paarbeziehungen oft nur Geringverdiener:innenjobs machen. Dadurch zahlen sie weniger in die Rente ein, sind in Beziehungen eher finanziell abhängig und landen häufiger in Altersarmut. Wir haben in Deutschland genug Geld, müssen es nur richtig verteilen.

Was passiert, wenn wir alles wie bisher weiterlaufen lassen?

Wenn wir die Leute immer mehr an ihr Limit bringen, wird die Gesellschaft krank. Eine Gruppe von Expert:innen hat im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung drei Szenarien für die Arbeit der Zukunft erstellt. Demnach könnte der Worst Case folgendermaßen aussehen: Viele Menschen hätten keinen Job mehr oder wären stark überarbeitet. Neue Technologien hätten Arbeitsplätze zerstört, ohne dass es dafür einen Ausgleich gäbe. Wir hätten den Klimawandel nicht in den Griff bekommen – was auch ein wichtiger Punkt ist.

Weil es dabei um unsere Lebensgrundlage in den nächsten Jahrzehnten geht?

Genau, wir werden nicht darum herumkommen, etwas zu verändern. Wir haben durch Corona gesehen, dass es möglich ist – und auch relativ schnell, wenn der Druck groß genug ist. Der wird zum Beispiel von den jungen Menschen gemacht. Die GenZ sagt, wir wollen uns nicht kaputtarbeiten, und das noch unter schlechten Arbeitsbedingungen. Wir sehen das nicht ein, vor allem nicht, wenn unsere Zukunft unsicher ist. Und wir wollen nicht für Unternehmen arbeiten, die die Klimakrise weiter befeuern. Wenn Firmen wettbewerbsfähig bleiben wollen, müssen sie umdenken, um künftig noch gute Leute zu bekommen.

Viele HR-Expert:innen bezeichnen die GenZ als ignorant. Was sagen Sie dazu?

Kürzlich habe ich mit einer Frau gesprochen, die Anfang 20 ist. Ich glaube, viele Menschen haben vergessen, wie diese Generation die Corona-Zeit erlebt hat, auf wie viel sie verzichten musste, was für uns in dem Alter selbstverständlich war. Meiner Ansicht nach ist es verständlich, wenn junge Menschen jetzt sagen, ich möchte keine fünf Tage die Woche mit krassen Überstunden arbeiten. Mir sind auch andere Dinge wichtig, für die möchte ich Zeit haben, und deshalb muss Arbeit anders aussehen. Wir müssen über Generationen hinweg mehr zuhören, um einander zu verstehen. Und wenn die jungen Menschen mehr Zeit für ihr Hobby haben wollen – warum nicht? Unser Leben besteht aus mehr als Erwerbsarbeit. Ein bisschen über den Rand des eigenen Unternehmens zu denken, kann nicht schaden.


		
Andrea Möller
Andrea Möller arbeitet als Redakteurin bei Carrer Pioneer. Sie ist seit über 20 Jahren Journalistin, zeichnete lange als Redaktionsleiterin für die Sonderhefte des Journal Frankfurt verantwortlich, bevor sie 2010 den Schritt in die Selbstständigkeit ging. Seither ist sie unter anderem freie Autorin, Kolumnistin und Lektorin für diverse Publikums- und Fachmedien sowie Buchprojekte. Ihre Schwerpunkte liegen in den Bereichen Karriere, Hotellerie, Gastronomie.
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