Karrierethemen

Harry Gatterer, geschäftsführender Gesellschafter des Zukunftsinstituts.
Harry Gatterer, geschäftsführender Gesellschafter des Zukunftsinstituts. Foto: Zukunftsinstitut
Zukunft der Arbeit

Was kommt nach New Work?

Harry Gatterer vom Zukunftsinstitut über die Trends der Arbeit von morgen und warum New Work vor allem in Deutschland so beliebt ist.

Herr Gatterer, Ihre neue Studie “13 Trends für die Zukunft der Arbeit” will die Antwort darauf geben, was nach New Work kommt. Sind wir dort überhaupt schon angekommen?
Es gibt je nach Unternehmen und Branche sehr unterschiedliche Flughöhen. Uns hat die unfassbar hohe Aufmerksamkeit, der Traffic zum Thema New Work überhaupt erst zu der Studie veranlasst und das erste, was uns auffiel war: Den Begriff New Work finden Sie nur im deutschsprachigen Raum. Anderswo läuft das, etwas nüchterner, unter “Future of Work” oder “Future of Organization”. Hier bei uns schwingt mehr mit: eine Sehnsucht, ein Romantisieren der Arbeit. Wortschöpfer Fridtjof Bergmann hat das Konzept von New Work in den 80er Jahren geprägt mit der Hauptidee, das Arbeit sinnstiftend sein muss. Eine gewisse Zeit war der Begriff global zu finden, dann nur noch hier.

Warum sind wir im deutschsprachigen Raum so anfällig für Sinn?
Moderne Arbeitsumgebungen mit adaptiven Strukturen zu schaffen, in denen ich mich weiterentwickeln kann, das haben wir verschlafen. Wir haben eine Arbeitswelt, in der das Individuum über allem steht. Unsere Organisationen schützen vor allem das Individuum mit Arbeitsrecht, Datenschutz und anderen Regeln. Folge: Bei uns wird Sinn eher persönlich erlebt und nicht kollektiv. In dem Moment, wo das Individuum am Arbeitsmarkt eine hohe Nachfrage erlebt, strebt es danach, dort zu arbeiten, wo es am meisten Sinn erfährt.

Wer könnte unser Vorbild sein für moderne Arbeitsumgebungen? Im asiatischen Raum etwa wird doch noch viel hierarchischer gearbeitet.
Um Hierarchie geht es nicht: Es geht darum, wie wirksam eine Organisation sein kann, was sie bewegen, voranbringen kann, auch mit Hilfe von Technologie. In Deutschland herrscht doch gerade das Gefühl vor, nirgends vorne mit dabei zu sein.

Als größten Trend nach New Work benennen Sie die technosoziale Arbeitswelt. Was heißt das?
Wir schauen nicht mehr nur auf die Interaktion zwischen Individuen, sondern zwischen Mensch und Technologie. Das ist ein Gamechanger. Am Begriff KI kommen wir nicht vorbei, weil künstliche Intelligenz viel verändert: Alles das, in dem Menschen mittelmäßig gut sind, wird die Maschine bald besser machen: mittelmäßig gute Texte schreiben, Businesspläne aufsetzen, Anträge bearbeiten.

Bei der digitalen Transformation warf man Deutschland vor, hintendran zu sein. Könnte das bei KI wieder passieren?
Letzte Woche habe ich von einem Unternehmen gehört, dass in einem Rundschreiben verboten hat, ChatGPT auf Firmenkosten zu installieren. Es wurde nicht erklärt, was man mit KI grundsätzlich machen kann oder was die Risiken sind, sondern jedes Experimentieren verboten. Wir sind ja auch stolz auf unseren europäischen AI-ACT. Das heißt, unsere Antwort auf ChatGPT sind Regeln. Also müssen wir uns darauf einstellen, dass wir im globalen Kontext vermutlich nicht die Frontrunner sein werden.

Aber spürt man jetzt bei KI nicht gerade mehr Euphorie?
Ja, die Welle ist groß. Man lässt sich Geburtstagsreden und Examensarbeiten schreiben, es gibt also einen Umgang damit. Die Frage ist, ob der Switch in die Organisation gelingt. Strukturen wie Compliance oder Betriebsräte können die Euphorie ausbremsen. Wir werden in Europa ein bisschen brauchen, um uns zu adaptieren. Einen Weg daran vorbei sehe ich nicht. Generationenvielfalt und Ausbildungsniveau stimmen. Hauptsache, wir machen es uns nicht zu kompliziert. Für Unternehmen ist eine chancenreiche Zeit angebrochen: Sie können mit verhältnismäßig wenig Infrastruktur viel bewirken, müssen aber beweglich sein.

Passt dazu der ebenfalls von ihnen identifizierte Trend Explorer Networks: Die Kooperation von Unternehmen mit externen Partnern wie Hochschulen, Startup-Labs etcetera?
Es geht darum, Lernen und Innovation zu verbinden, sie gleichzeitig zu erleben. Warum? Weil der Anspruch an Innovation und Offenheit höher wird, je unplanbarer die Welt wird. Netzwerken ist die perfekte Möglichkeit für Unternehmen, sich zu entwickeln, selbst wenn sie nur 30 Mitarbeiter haben. Sie müssen nicht alles aus eigener Kraft stemmen.

“Flexibility” beschreiben Sie als weiteren großen Trend, der über Agilität hinausgeht: Unternehmen sollen gesellschaftliche Vorstellungen und soziale Werte stärker integrieren. Das erfordere Mut. Warum?
Das Integrieren gesellschaftlicher Themen in betriebswirtschaftliche Einheiten ist nicht gelernt. Es gibt keine Kennzahlen, keine Meetings dafür. Wann hat man genug getan, wann das Falsche? Das hängt vom Dialog mit den Mitarbeitenden ab. Am Ende fällt vielleicht Personalern ein, den Erfolg in Mitarbeiterzufriedenheit zu messen, aber das trifft es natürlich nicht ganz. Es geht nicht darum, für Mitarbeiter interessant zu sein, sondern um die Positionierung als Unternehmen. Wie stehe ich in der Gesellschaft und wie gehe ich mit Themen um, die die Menschen haben? Nachhaltigkeit ist nur ein mögliches Thema.

Damit holt man sich Probleme ins Haus, die ein rein betriebswirtschaftlich handelndes Unternehmen nicht hat: Wer sich stark für die Ukraine engagiert, schürt möglicherweise Konflikte zwischen russischen und ukrainischen Mitarbeitern.
Wer sich für etwas positioniert, positioniert sich immer automatisch gegen etwas und das bietet Angriffsfläche. Flexibility meint nicht, dass alle im Unternehmen die gleiche Haltung haben, sondern dass externen Themen Raum gegeben wird.

Warum lohnt es sich, privaten wie politischen Themen Raum zu geben?
Weil sie die Menschen beschäftigen, stressen und es meist nicht gelingt, diese “Störer” an der Pforte abzugeben. Den Themen Raum zu geben, kann dazu beitragen, Arbeitslust und Kreativität besser zu schützen.

Als weiteren Trend identifizieren Sie Generational Leadership: Gemeint ist, alle Generationen ins Boot zu holen, statt sich auf Einsteiger zu fokussieren. Der Wert der Älteren ist in den Medien gerade Thema, aber erkennen Sie in der Praxis schon ein Umdenken?
Das wird unweigerlich kommen: Wir haben die Gen Z überstrapaziert, das Pendel schlägt zurück. Die Betonung wird auf der Gemeinsamkeit liegen, auf Alters-Buntheit. Das macht Führung anspruchsvoll – von unterschiedlichen Vorstellungen der Arbeitszeitgestaltung bis zur Bezahlung.

Europa ist erschöpft. Das muss HR aufgreifen, heißt es im Report. Was meinen Sie damit?
Die Individuen sind mit einem hohen Stresslevel ausgestattet, das führt zu Erschöpfung. Ich glaube sogar, dass wir die Corona-Zeit mit ihren Lockdowns noch gar nicht verarbeitet haben. Es gibt viele unerledigte Aufgaben, viele Widersprüchlichkeiten im Alltag. Viele streben nach sozialen Kontakten und Normalität, fühlten sich aber durch Gesundheitsrisiken und Unsicherheiten lange zurückgehalten. Demographisch betrachtet, können wir leider nicht damit rechnen, dass die Jungen alle Probleme auffangen. In Indien ist das anders. Da kommt die Kraft von unten, aus den jungen Kohorten. Ergo müssen wir Westeuropäer lernen, mit Kraft anders umzugehen.

Unternehmen empfehlen Sie einen Happiness Approach, um die knappen Fachkräfte durch Glücksgefühle zu binden?
Unternehmen sind schwierig zu führen, wenn ein Großteil der Menschen in einer gewissen Erschöpfung ist. Mitarbeiter bleiben, wenn sie ein Erlebnis, eine Gemeinschaft und eine Kultur vorfinden, in der sie ihr Glück finden können. Was sie dafür brauchen, variiert. HR ist daher als individueller Wegbegleiter in chaotischen Zeiten gefordert.

Viele Unternehmen haben doch schon Mental-Health-Projekte.
Wenn wir Trends identifizieren, heißt das nicht, dass alles neu ist, sondern dass wir Muster erkennen, die sich durchsetzen. Wer bei Mental Health vorgearbeitet hat, wird sich leichter tun.

Was gehört noch ins Pflichtenheft der Personaler? Sie haben aus 13 Trends mindestens 100 Themen abgeleitet.
Zum Jahresbeginn empfehlen wir, sich erst einmal zu verorten, wo man steht bei den Trends, die wir für die nächsten zwei drei Jahre aufzeichnen. Zukunft ist nichts, was außen passiert, sondern, was ich daraus mache.

Wenn New Work ein Heilsversprechen war, worauf können wir uns als Arbeitskräfte in der Ära Post New Work freuen?
Ich glaube, alle Menschen können sich freuen, die Lust haben, das, was sie tun, exzellent zu tun. Die Technologien werden bei der Umsetzung helfen. Also sollte jeder herausfinden, wo er am allerbesten ist. Die Hype-Phase des Fachkräftemangels, in der jeder gebraucht wird, egal wie mittelmäßig seine Fähigkeiten sind, geht vorbei. Organisationen werden sich vermehrt darum kümmern, die Menschen in eine neue Beziehungsqualität zu bringen. Denn daraus entstehen Netzwerke und intrinsische Motivation. Auch das ist ein Grund zur Freude!

Julia Wittenhagen
Die Autorin ist Redakteurin bei der Lebensmittel Zeitung, der führenden Fachzeitschrift für den Einzelhandel und die Konsumgüterindustrie, die in der dfv-Mediengruppe erscheint. Im Ressort Management und Karriere beschäftigt sie sich mit den Themen HR, Führung und Transformation. Sie arbeitet eng mit Branchenexpert:innen, den Redaktionskolleg:innen und den Leser:innen zusammen, um informative, aktuelle und relevante Inhalte zu liefern.
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