Wickeltische auch in den Herrentoiletten – mittlerweile ist das Usus in Restaurants. Allerdings noch nicht sehr lange. Anders verhält es sich mit Toiletten oder Umkleidebereichen, die drei Geschlechter abholen sollen: weiblich, männlich, divers. Aber grundsätzlich ist das Bewusstsein, dass Gäste international und multikulturell sind – mit vielen unterschiedlichen Bedürfnissen und Gewohnheiten – vorhanden, und Konzepte zahlen darauf ein.
Raumkonzepte spielen nicht nur im Gastgewerbe eine Rolle, wenn es um Diversität geht. Und haben Entscheider auch ihre Beschäftigten im Blick, wenn sie Konzepte planen? Wie ergeht es eigentlich Mitarbeitenden, die Besonderheiten mitbringen? Können sie offen über ihre Persönlichkeit oder Wünsche sprechen? Dass sie beispielsweise zu einer bestimmten Uhrzeit beten möchten? Oder dass sie Angst vor einem Vorgesetzten haben, der seine Macht missbraucht?
Diversity beginnt schon beim Innendesign
Diversity-Management und eine wertebasierte Unternehmenskultur sind laut Arbeitsmarktexperten mit die größten Hebel im „war for talents“. Das beginnt schon beim Innendesign. Olaf Kitzig (52), seit Jahren auf die räumliche Ausstattung von gastgewerblichen Betrieben und Büroflächen spezialisiert, betont: „Das Wichtigste bei unseren Konzepten ist die Möglichkeit, die Gestaltung den Bedürfnissen der Menschen anzupassen“, so der CEO von Kitzig Design Studios. Bedeutet gemäß der New-Work-Idee: Orte für interdisziplinäre Zusammenarbeit zu gestalten.
Menschen können flexibel ihren Arbeitsplatz wählen, sich in kleineren oder größeren Gruppen austauschen und auch in den Aufenthaltsbereichen in wertiger Umgebung zusammenkommen. In Kombination mit Diversity ist zu bedenken: „Nicht alle Menschen haben die gleichen Bedürfnisse. Der eine arbeitet lieber allein, der andere isst mittags lieber allein, weil er seine Gewohnheiten nicht mit allen Kolleginnen und Kollegen teilen möchte. Die Individualität mitzudenken, halte ich für ganz essenziell“, sagt Kitzig.
Wo Menschen arbeiten, muss sehr klar sein, welche Funktion der Bereich erfüllen soll.
– Olaf Kitzig, Raumexperte
Bei der Planung die Mitarbeitenden mit ins Boot holen. Wie ist das möglich? Ein Aufenthaltsbereich kann große Tische, aber auch kleine Nischen haben, die Menschen bei Bedarf abschotten. Ein Mitarbeitenden-WC muss nicht im gleichen Design wie das Gäste-WC gestaltet sein, es sollte jedoch berücksichtigt werden, dass nicht alle Menschen beim Händewaschen oder Schminken beobachtet werden möchten. Stattdessen können innerhalb der WC-Kabinen Waschbecken mit Spiegeln angebracht werden.
Ganzkörper-Spiegel in den Vorräumen der WCs wiederum können so hängen, dass die Menschen beim Öffnen der Türen nicht den Blicken vorbeilaufender Kolleginnen und Kollegen ausgesetzt sind. „Wo Menschen arbeiten, muss sehr klar sein, welche Funktion der Bereich erfüllen soll“, so Kitzig. Dafür sei es wichtig, nicht nur mit Entscheidern zu sprechen, die Geld in einen Umbau investieren. „Die Menschen, die dort arbeiten, müssen ihre Bedürfnisse vorab aussprechen können.“ Außerdem käme es darauf an, Trends zu hinterfragen. Nicht jeder sei ein Schreibtisch-Hopper im Sinne von New Work. Manche Menschen brauchen feste Strukturen, indem sie immer am gleichen Platz sitzen. Andere wiederum brauchen Flexibilität, weshalb jeder Kommunikationsbereich hybrid gedacht werden sollte. Und: Räume können mehrere Funktionen erfüllen. Wo vormittags Gäste tagen, können nachmittags Team-Meetings stattfinden. Die große Frage sei, wie sich die Anforderungen und Bedürfnisse von allen erfüllen ließen.
“Patchwork bedeutet Arbeit am Miteinander”
Ein Bekenntnis für Diversität abgeben – das wird für Unternehmen immer wichtiger und populärer im Sinne ihrer Employer-Branding-Strategie. Sie machen dies sichtbar, etwa indem sie einer Initiative wie der Charta der Vielfalt beitreten. Deutschlandweit haben sich mehr als 4.900 Arbeitgeber den sieben Dimensionen der Diversität verschrieben. Das Bekenntnis zu Werten ist das eine, sie auch in der Unternehmenskultur zu leben – dafür ist eine Veränderung im Mindset nötig. Deshalb müssen Prozesse und Denkweisen auf den Prüfstand. Einen speziellen Ansatz, wie sich Veränderungen in Gang bringen lassen, vertritt Tanja Eggers (47), Gründerin von Ancoris Consulting und Dozentin für Diversity Leadership. Sie ist davon überzeugt, dass sich dafür Prinzipien eignen, die in Patchwork-Familien ein wertschätzendes Zusammenwachsen und -leben ermöglichen.
„Die Naht einer Patchwork-Decke kann entweder als etwas Trennendes oder Verbindendes betrachtet werden“, betont Eggers. „Es ist lediglich eine Frage des Mindsets.“ Jedes Familienmitglied tickt anders, kommt aus einer anderen Wertewelt, befindet sich in einer anderen Lebensphase. Jeder muss seine Rolle finden und ausleben können – und auch Teil des großen Ganzen werden können. Nur so lassen sich Regeln und Werte des Zusammenlebens gemeinsam gestalten, die von allen Familienmitgliedern akzeptiert werden.
Lasst uns im ‚Sowohl als Auch‘ denken.
– Tanja Eggers, Diversity-Expertin
Genauso ist es in Unternehmen. Dort spricht man von Organisationsprozessen und -entwicklung. Wie im Patchwork-Modell prallen Charaktere aus unterschiedlichen Lebens- und Wertewelten aufeinander. „Es geht um die Integration jedes Einzelnen“, bekräftigt die Fachfrau. Hierfür ist die richtige Leadership-Kultur ausschlaggebend. „Führungskräfte haben die Aufgabe, in diversen Teams eine Basis für ein gemeinsames Mindset zu schaffen.“
Als Beispiel nennt Eggers ein Erlebnis aus ihrer Zeit als international agierende Prokuristin. Sie sollte zwei völlig unterschiedliche Teams zusammenführen. Ein Teil, der aus Tschechien stammte, war kreativ – so das Selbstbild. Im Fremdbild wurde dies als chaotisch bewertet. Der andere Teil aus Deutschland war gut organisiert – so ebenfalls das Selbstbild. Im Fremdbild hingegen wurde dies als starr und unflexibel gesehen. „Ein nahtloser Übergang in ein großes Team schien zuerst unmöglich“, erinnert sich Eggers.
Die Fusion gelang ihr trotzdem und war eine wichtige Erfahrung, die sie heute betonen lässt: „Lasst uns im ‚Sowohl als Auch‘ denken.“ Ihr Fazit: Die Patchwork-Strategie eignet sich gleichermaßen für den Familien- wie für den Unternehmenskontext. „Es geht um Wirtschaftlichkeit und Menschlichkeit. Patchwork bedeutet Arbeit am Miteinander. Wirtschaftlichkeit bekomme ich, wenn das Miteinander funktioniert.“
Beschäftigte benötigen psychologische Sicherheit
Das kann etwa über Kreativtage erfolgen, bei denen das Wissen der Mitarbeitenden angezapft wird. Führungskräfte müssen lernen loszulassen und die Kommunikationswege neu aufzusetzen. In Summe ist das Ziel, dass die Leader sich zurückziehen und die Beschäftigten immer mehr Verantwortung übernehmen. „Wer macht was bis wann – diese Frage muss natürlich immer gestellt und beantwortet werden“, so Gehrke-Vetterkind. Über mehr Vertrauen und Zutrauen verändere sich aber die Entwicklung zu den Ergebnissen. „Sie werden besser, und die Arbeit erfüllt die Menschen.“
Menschen müssen wissen, an wen sie sich wenden können, wenn gegen Werte verstoßen wird.
– Lilian Gehrke-Vetterkind, Female Leadership-Expertin
Entfaltungsmöglichkeiten und psychologische Sicherheit. Damit Teams produktiv sind und ihr Miteinander gestalten können, sind flache Hierarchien nötig. Dafür müssen Beschäftigte und Führungskräfte anders miteinander umgehen, als es viele Jahre lang üblich war. Für Lilian Gehrke-Vetterkind (43), Beraterin für Diversity und Unternehmenskultur, heißt das: „Weg von der Vorstellung ‚command and control‘ und davon, dass Menschen nur ‚Human Resources‘ sind.“ Beschäftigte auf allen Ebenen sollten die Möglichkeit haben, sich mit ihrem vollen Potenzial einbringen zu können.
Beschäftigte benötigen auch Sicherheit. Empathische Führung ermöglicht, dass sie sich anvertrauen können und Hilfe erhalten, zum Beispiel bei mentaler Überlastung oder in Konfliktsituationen. Doch immer wieder kommt es in Unternehmen zu Machtmissbrauch – und zwar in allen Branchen. Derzeit steht Spitzenkoch Christian Jürgens, bis vor kurzem Küchenchef des Restaurants Überfahrt, unter Verdacht.
Schutz wird geboten, wenn Unternehmenswerte von der Spitze an klar formuliert und gelebt werden. „Menschen müssen wissen, an wen sie sich wenden können, wenn gegen Werte – beispielsweise über sexistische oder rassistische Äußerungen – verstoßen wird. Es muss klar sein, wie der Meldeprozess verläuft“, betont Gehrke-Vetterkind. „Kein Unternehmen kann für alle seine Beschäftigten die Hand ins Feuer legen. Wenn Zweifel aufkommen oder Verstöße gemeldet werden, muss den Vorwürfen nachgegangen werden.“