Viele Berufe werden sich in den kommenden Jahren verändern. Die Deutsche Bahn (DB) möchte diese Entwicklungen vorausschauend gestalten, weshalb sie schon 2019 das Zukunftslab ins Leben rief. Im Interview verrät Kerstin Wagner, Executive Vice President Talent Acquisition, was dahintersteckt und welche Maßnahmen bereits daraus abgeleitet und umgesetzt wurden.
Frau Wagner, die DB schreibt sich ohnehin auf die Fahnen, sehr innovativ zu sein. Warum brauchte es ein spezielles Zukunftslab?
Wir wollen Trends nicht nur erkennen und auf der Welle mitsurfen, sondern Themen aktiv vorausdenken und Trendsetter sein. Auf Innovationen setzen wir auch bei den Berufen. Deren Veränderungen sind wir früher − wie andere Unternehmen auch − immer ein bisschen hinterhergelaufen. Da kommt das Lab ins Spiel, das sich damit beschäftigt, wie sich Jobs entwickeln werden und wie wir uns in der Rekrutierung und Ausbildung schon heute darauf einstellen können. Damit haben wir in Zukunft, auch in einem sich stark verändernden Arbeitsmarkt, immer die relevanten Fähigkeiten am richtigen Ort.
Was glauben Sie, welche Faktoren vor allem dazu führen, dass aktuelle Berufe sich verändern?
Die größte qualitative Veränderung bewirken Digitalisierung und Automatisierung. Besonders Technologien wie künstliche Intelligenz transformieren Berufe grundlegend. Auch was den Menschen persönlich wichtig ist, spielt eine Rolle. Aufgrund der demografischen Entwicklung haben wir heute einen Arbeitnehmermarkt. Es stellt sich die Frage: Was macht einen Beruf überhaupt attraktiv? Ein wichtiger Aspekt ist das Thema Flexibilisierung, das wir etwa mit Wo-du-willst-Jobs oder Jobsharing möglich machen.
Wenn es um vorhersehbare Veränderungen geht, von welchem Zeitrahmen sprechen wir?
Von fünf bis zehn Jahren. Über größere Zeitspannen gibt es zwar einige Studien, wir wollen aber konkrete und vor allem wirksame Maßnahmen durch unsere Methode ableiten.
Wie setzt sich das Team zusammen, das daran arbeitet?
Die Lab-Kolleg:innen gehören weder zu einer einzigen Abteilung noch zu einem klassischen Projekt. Es sind Menschen mit verschiedensten Kompetenzen aus HR oder Tech, der Konzernstrategie, aber auch aus dem operativen Bereich. Das ist eine großartige Mischung, die in einem offenen Netzwerk zusammenarbeitet. Die Leute haben den Freiraum, komplett verrückt, groß und anders zu denken. Den Anfang machte ein Kernteam aus vier bis fünf Personen und einem festen Kollegen von der Agentur für Arbeit, die sich schon früh mit Universitäten und anderen Firmen ausgetauscht und einen ersten Prototyp entwickelt haben.
Wie findet der kreative Austausch statt?
Das Kernteam trifft sich regelmäßig zu Arbeits-Sessions und schaut sich die Berufsgruppen vor Ort genau an. Zudem gibt es die konzeptionelle Arbeit in den Lab-Calls, an denen auch die Leads teilnehmen.
Mit welchen Methoden oder Tools wird gearbeitet, um die künftigen Veränderungen zu erkennen?
Wir haben eine neue Methode entwickelt, mit der wir jeden Beruf analysieren. Dafür sprechen wir mit den aktuellen Stelleninhaber:innen und bekommen Input von Expert:innen in den relevanten Trends, um daraus das zukünftige Berufsbild zusammenzubauen. Das ist die Basis für die Ableitung der Maßnahmen, die wir im Hier und Heute starten, um die Entwicklung des Berufsbilds aktiv zu begleiten. Zusätzlich haben wir die Komponente der Co-Creation integriert. Das bedeutet, dass wir unseren methodisch entwickelten Ansatz regelmäßig mit externen Partner:innen aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft diskutiert und hinterfragt haben, um ihn stetig zu verbessern. Derzeit sind wir dabei, unsere Prozesse zu digitalisieren.
Kommt auch künstliche Intelligenz zum Einsatz?
Wir haben bereits konkrete Anwendungsfälle für KI in unserer Methodik identifiziert, die wir mit Expert:innen weiterverfolgen. Zum Beispiel arbeiten wir derzeit mit automatisierten Befragungen bezüglich des Trend-Wissens. Meine Vision ist, dass wir künftig anhand der schon vorhandenen Daten Zukunftsprofile per Knopfdruck erstellen können.
Welche Berufe haben Sie sich im Zukunftslab bereits angesehen?
Wir schauen uns klassische, aber auch bahnspezifische Berufe an und achten darauf, wo eine hohe Relevanz für unser Geschäft oder ein Engpass besteht. Der erste Beruf war der Bauüberwacher, an dem man klar sehen kann, wie sich eine vermeintlich stabile, klassische Tätigkeit verändert. Diese Mitarbeitenden sind meist vor Ort und führen unter anderem Sichtprüfungen durch. In Zukunft wird diese Berufsgruppe eher ihre Gummistiefel gegen Fernerkundungssysteme eintauschen und so effizienter die maßgeblichen Daten und Fakten für Entscheidungen erhalten. Also müssen sie künftig vielleicht auch Drohnenpilot:innen sein.
Daraus folgt, …
… dass wir anders rekrutieren, nach anderen Skills suchen. Das erwähnte Beispiel werden wir vielleicht erst in fünf Jahren haben. Trotzdem wollen wir jetzt schon jemanden mit den entsprechenden Skills oder Potenzialen dafür rekrutieren, damit gegebenenfalls die Transformation dieses Berufs beschleunigt wird.
Welche Berufe haben Sie außerdem analysiert?
Elektriker:innen, Instandhalter:innen und Lokführer:innen. Auch neuere Berufe wie Datenexpert:innen, die sich ebenfalls im Laufe der Zeit verändern werden. Bisher haben wir über 20 Berufe mit mehr als 20.000 Beschäftigten analysiert.
Bei der Bahn gibt es 500 Berufe. Da haben Sie noch einiges vor sich.
Ja, aber 20.000 Personen – das ist schon eine Nummer. Wir wollen einen großen Impact erzielen. Daher war es uns wichtig, mit verschiedenen Berufen zu starten, die auch entsprechend Volumen mitbringen.
Abgesehen davon, dass Bauüberwacher vielleicht Skills als Drohnenpiloten benötigen, zu welchen Ergebnissen sind Sie bisher gekommen?
Nehmen wir zum Beispiel Buchhalter:innen, die viele Routineaufgaben haben. Wenn hier die KI übernimmt, werden vielleicht andere Skills nötig sein. Bei der Instandhaltung wiederum wird infolge der Automatisierung der Schwerpunkt auf die Elektrik verlagert.
Was vom Zukunftslab ist bereits in die Arbeitswelt der Bahn eingeflossen?
Zum schnellen fachlichen Onboarding haben wir spezielle Intensivtrainings, vor allem im Bereich Daten, eingerichtet. Außerdem prägen wir etwa für die Instandhaltung unser Quereinstiegsprogramm oder unsere Ausbildung mit einem anderen Skillset aus – fokussieren also mehr auf die Elektrik in der Aus- und Weiterbildung dieses Berufs. Meist braucht es ja einen gewissen Vorlauf, bis jemand einen Job ausüben kann. So werden wir in drei bis fünf Jahren Mitarbeitende haben, deren Fähigkeiten den zu diesem Zeitpunkt aktuellen Anforderungen entsprechen.