Karrierethemen

Prof. Julia Backmann, Universität Münster Foto: privat
Arbeitszeiten

Interview zum Pilotmodell 4-Tage-Woche

Motiviert der Ausblick auf eine verkürzte Arbeitswoche Menschen so sehr, dass sie ihren Job auch in nur vier Tagen schaffen? Prof. Julia Backmann von der Uni Münster erläutert, wie die deutsche Wirtschaft von der sechsmonatigen Studie profitieren kann.

Motiviert der Ausblick auf eine verkürzte Arbeitswoche Menschen so sehr, dass sie ihre Arbeit auch in nur vier Tagen schaffen? Steigt so die Mitarbeiterzufriedenheit, sinkt so die Zahl der Krankentage. Und: Bleiben Belegschaften so langfristig gesünder? Auf all diese Fragen soll es nun Antworten geben. Dafür hat die Berliner Unternehmensberatung Intraprenör zusammen mit der NGO 4 Day Week Global eine sechsmonatige Studie für die Deutsche Wirtschaft ins Leben gerufen, die von Prof. Dr. Julia Backmann (Westfälische Wilhelms-Universität Münster) wissenschaftlich begleitet wird.

45 Unternehmen testen nun in Deutschland die 4-Tage-Woche mit wissenschaftlicher Begleitung. Wie unterschiedlich sind die Kandidaten?
Die 45 Unternehmen, die am Pilotprojekt zur 4-Tage-Woche teilnehmen, repräsentieren eine breite Palette an Branchen und Unternehmensgrößen, was die Ergebnisse des Experiments besonders spannend macht. Wir beobachten, dass viele Organisationen mit Bürotätigkeiten umstellen, aber auch Branchen wie Handwerk, produzierendes Gewerbe und Kinderbetreuung sind vertreten. Größere Unternehmen nehmen in der Pilotphase mit einem Teil ihrer Belegschaft teil, sodass sie zwar repräsentiert sind, aber es war in der kurzen Vorbereitungszeit nicht möglich, testweise mit mehreren hundert Mitarbeitenden umzustellen.

Was ist bei jedem Unternehmen innerhalb des Versuchs gleich, an welcher Stelle gibt es Variationen?
Insgesamt gibt es eine große Variation unter den teilnehmenden Organisationen. Allen gemeinsam ist, dass sie die Arbeitszeit bei gleichbleibendem Gehalt verkürzen. Die genaue Umsetzung variiert jedoch stark: Dazu gehört, wie viel die Arbeitszeit reduziert wird, welcher Tag in der Woche freigenommen wird und wie die Mitarbeitenden in den Prozess involviert sind. Diese Unterschiede in der Implementierung bieten uns die Möglichkeit, verschiedene Modelle besser zu verstehen.

Warum ist die wissenschaftliche Begleitung so wichtig und warum sind Sie für dieses Thema zu begeistern?
Die wissenschaftliche Begleitung ist von zentraler Bedeutung, um fundierte Erkenntnisse über die Auswirkungen der 4-Tage-Woche zu gewinnen und sich von der emotional geführten Diskussion um das Thema zu distanzieren. Persönlich bin ich an diesem Thema interessiert, da es zahlreiche spannende Ansatzpunkte für die Forschung bietet. Diese gehen über die direkten Auswirkungen der 4-Tage-Woche hinaus und umfassen beispielsweise Aspekte wie die genaue Umsetzung, kleinere und größere Anpassungen zur Steigerung der Produktivität, sowie Veränderungen in der Zusammenarbeit. All diese Punkte können einen wichtigen Beitrag zur Transformation der Arbeitswelt leisten. Aktuell widmet sich ein 12-köpfiges Team intensiv diesem Thema.

Wie lautet Ihr Wunschergebnis, warum wird es fundierter und aufschlussreicher sein als die bisherigen Studien?
Ich verfolge kein spezifisches Wunschergebnis – das wäre auch der falsche Ansatz, da wir als wissenschaftliche Begleitung nicht versuchen, einen Wunsch zu bestätigen. Natürlich hoffe ich, dass alle teilnehmenden Organisationen Erfolg bei der Umsetzung haben und positive Erfahrungen sammeln können. Doch unabhängig davon, ob die 4-Tage-Woche am Ende weitergeführt wird oder nicht, sind wir an allen Erkenntnissen – sowohl positiven als auch negativen – interessiert und bereit, diese entsprechend einzuordnen. Unsere Studie baut auf den bisherigen internationalen Studien auf, aber in Zusammenarbeit mit den Organisationen streben wir nach weiteren Einblicken und objektiveren Daten. Falls die Produktivität objektiver erfasst werden kann, werden wir diese Daten in unsere Analysen einbeziehen. Ebenso planen wir, Stress anhand von physiologischen Daten objektiver zu messen. Es wird spannend sein zu sehen, inwieweit sich die Wahrnehmung und die physiologischen Daten decken.

Vor allem für die junge Generation ist die 4-Tage-Woche ein starker Hebel im Employer Branding, zurecht? Welche Risiken gibt es vielleicht auch für Unternehmen?
Das Interesse an der 4-Tage-Woche beschränkt sich nicht nur auf die jüngere Generation. Vorherige Studien haben gezeigt, dass sie die Attraktivität eines Arbeitgebers steigern kann, was insbesondere in Zeiten des Fachkräftemangels ein großes Plus darstellt. Es ist jedoch anzumerken, dass nicht jeder den Wunsch hat, in einer 4-Tage-Woche zu arbeiten – hier gibt es viele individuelle Unterschiede und das nicht nur in einer bestimmten Generation. Einige sehen das Risiko, dass sich die Arbeit an den vier Tagen stark intensivieren könnte. Dies könnte zu einem erhöhten Druck führen, und manche sind besorgt, wie sie noch effizienter arbeiten sollen, um die anfallende Arbeit in weniger Zeit zu bewältigen.

Sehen Sie das Pilotmodell als Chance, um eine gesündere Arbeitswelt zu forcieren?
Ich finde das Pilotprojekt zur Vier-Tage-Woche besonders spannend, da es Organisationen die Möglichkeit bietet, innovativ zu sein, zu experimentieren, und neue Wege zu erkunden, um Arbeit neu zu gestalten. Die Förderung von Innovation und Experimenten im Kontext der Arbeitswelt ist wichtig und sollte verstärkt in den Fokus gerückt werden. Die Motivation der teilnehmenden Organisationen ist ansteckend; daher finde ich die Begleitung dieses Projekts persönlich als sehr bereichernd.

Was ist dran den dem Kritikpunkt, dass es sich bei Modell einer 4-Tage-Woche um eine Bremse im internationalen Wettbewerb handelt und das Mindset der Deutschen verdorben wird – die Einstellung zur Arbeit immer fauler wird?
Die Bedenken, dass eine 4-Tage-Woche die internationale Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen und zu einer nachlässigeren Arbeitseinstellung führen könnte, sind nachvollziehbar. Unsere Studie konzentriert sich jedoch ausschließlich auf Organisationen in Deutschland, und da wir den internationalen Markt nicht betrachten, können wir leider am Ende keine Aussagen über die internationale Wettbewerbsfähigkeit treffen. Interessanterweise hat eine Studie in Großbritannien jedoch gezeigt, dass mehr als 90 Prozent der Organisationen, die eine 4-Tage-Woche eingeführt haben, diese auch nach Abschluss der Pilotphase beibehalten haben. Dies deutet darauf hin, dass sie keine wesentlichen Umsatzeinbußen erlitten haben oder Bedenken hinsichtlich ihrer Wettbewerbsfähigkeit verspürten. Ich bin sehr gespannt darauf, wie das Ergebnis am Ende der Pilotphase in Deutschland ausfallen wird.

Weitere Infos zum Pilotmodell:

Initiator des Projekts ist die Unternehmensberatung Intraprenör, die wiederum mit der Organisation 4 Day Week Global zusammenarbeitet. Die NGO hat das Projekt in ähnlicher Form bereits in verschiedene andere Länder gebracht. In Großbritannien zeigten sich anschließend viele der Unternehmen sehr interessiert. Weil sich die Unternehmen freiwillig für das Projekt melden konnten, sind die Ergebnisse sowohl aus Großbritannien als auch die künftigen für Deutschland nicht repräsentativ. In Deutschland nehmen seit 1. Februar 45 Unternehmen an der Studie teil. Die teilnehmenden Unternehmen haben die Möglichkeit, in monatlichen Austauschterminen sowie in Chat-Räumen Erfahrungen zu teilen und ihr Modell zu optimieren. Von Intraprenör vorgegeben ist lediglich das Modell 100-80-100: also 100 Prozent Leistung in 80 Prozent der Zeit bei 100 Prozent Bezahlung.

Die am Projekt teilnehmenden Organisationen und Unternehmen sind quer über die Bundesrepublik verstreut. 30 Prozent haben ihren Sitz im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen. Intraprenör zufolge hat mehr als die Hälfte der Unternehmen zwischen 10 und 49 Mitarbeiter. Die am stärksten vertretene Branche ist IT und Technologie (14 Prozent). Aber auch das Handwerk und Industriebetriebe (je sechs  Prozent) sind im Projekt vertreten. Intraprenör zufolge waren diese Branchen in den Studien aus anderen Ländern häufig unterrepräsentiert. (Quelle: dpa)

Alexandra Leibfried
Als Redaktionsleitung (V.i.S.d.P.) der Career Pioneer berichtet Alexandra Leibfried regelmäßig über HR-Management- und Karrierethemen. Ihre Artikel erscheinen in führenden Branchenzeitungen und -zeitschriften wie HORIZONT, ahgz und fvwITravelTalk. Die Career Pioneer GmbH und Co. KG ist Spezialist für Stellenmärkte und Karriereformate innerhalb der dfv Mediengruppe
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