Kira Marie Cremer hat auf LinkedIn mehr als 45.000 Follower. Sie ist Autorin, Dozentin und New-Work-Expertin. Auf der stark wachsenden Plattform ist sie mit ihren diversen Engagements regelmäßig sichtbar. Ihr Juryeinsatz beim Düsseldorfer Henkel-Konzern fiel kürzlich besonders ins Auge: Im Rahmen einer neuen Corporate-Influencer-Strategie konnten sich Mitarbeitende des Konzerns als Markenbotschafter bewerben. Für die bewusst aufmerksamkeitsstarke Idee eines solchen Castings ließ sich Henkel von der LinkedIn-Beratung The People Branding Company begeistern, die nach eigenen Angaben global schon mehr als 80 Corporate-Influencer-Programme ausrollte.
Eindrücke vom Jurytag posteten nicht nur Cremer (mehr als 380 Reaktionen, 200 Kommentare), sondern auch zwei ebenfalls in der Jury vertretene Führungskräfte von Henkel, und im Casting erfolgreiche Mitarbeitende griffen das Thema auf. Insgesamt gab es 24 Posts mit 4826 Reaktionen und 953 Kommentaren, die neuen Faces of Henkel sorgten für 98.583 Impressions, die Jury für 165.065. Die stärkste Personal Brand der beteiligten Accounts hat Céline Flores Willers, Gründerin und CEO von The People Branding Company, mit fast 187.000 Followern. Allein ihr Auftakt-Post zum Programm sorgte für 2200 Reaktionen und 200 Kommentare.
Das Ganze erinnert an Sendungen wie „Deutschland sucht den Superstar“ oder „Germany’s Next Topmodel“. Von einem „goldenen Buzzer, Gewinner-Medaillen, Selfie Walls, Konfetti und Challenges“ ist auf LinkedIn des Weiteren die Rede. Innerhalb der Posting-Welle gibt es in den Kommentaren aber auch kritische Rückfragen: Warum diese Inszenierung?
21 Millionen LinkedIn-User in der DACH-Region
Markenbotschafter hatten die Düsseldorfer bereits für verschiedene Employer-Branding-Maßnahmen – rund 200 an der Zahl. 15 neue Faces of Henkel gibt es nun zusätzlich. Diese absolvieren ein zwölfwöchiges Schulungsprogramm bei LinkedIn-Profis mit dem Ziel, sich auf HR-Themen zu fokussieren sowie verbindlicher und reichweitenstärker zu agieren. 300 Mitarbeitende von Henkel besuchten Mitte Mai am Standort Düsseldorf ein Info-Event mit Keynote zum Programm, für den Pitch-Tag beworben haben sich mehr als 70 Beschäftigte, zum Casting eingeladen wurden 30. „Wenn die Mitarbeitenden nur nominiert worden wären, hätte es nicht die gleiche verbindliche Wirkung erzielt wie in einem Bewerbungsprozess“, ist Céline Flores Willers überzeugt. „Wir suchten gezielt nach Teilnehmenden, die mindestens einmal pro Woche posten wollen. Ob jemand dieses Engagement wirklich einbringen möchte, erfährt man am besten an einem solchen Casting-Tag.“
Wer heutzutage eine Corporate-Influencer-Beratung in Anspruch nimmt, hat die Sichtbarkeit als Arbeitgeber stark im Fokus. Das Ziel: Recruiting, Talentgewinnung, Mitarbeiterbindung und Stärkung der Employer Brand. Es geht um Themen, aber auch um Hintergrundwissen über Algorithmen. Für Henkel und andere Unternehmen wie SAP, Die Techniker, Allianz, Siemens oder DATEV bildet LinkedIn dafür die passende Plattform. Laut Flores Willers „der Dreh- und Angelpunkt, um Bewerbende und Unternehmen zusammenzubringen“. Mehr als 21 Millionen User habe LinkedIn in der DACH-Region, 95 Bewerbungen pro Sekunde würden versandt sowie acht Talente pro Minute über LinkedIn eingestellt. Zudem: Über ein Drittel der User nutzen die Plattform aktiv für die Jobsuche und lassen sich durch Content anderer Professionals beeinflussen. Mehr als jeder fünfte Deutsche hat sich dort mittlerweile ein Profil erstellt.
Die Jury, die die neuen Faces of Henkel auswählte: (von links) Nina Killes (The People Branding Company), Gino S. Coletti und Martin Spielvogel (beide Henkel) sowie Influencerin Kira Marie Cremer. Foto: lukansimon GmbH
Ein Konzern wie Henkel, der seine Prognose für das Jahr bereits zweimal angehoben hat, braucht beständig neue Mitarbeitende und will gleichzeitig die „erfreulich hohe Retention Quote“ halten. Christina Rositzka, seit 20 Jahren bei Henkel beschäftigt und derzeit als Head of Employer Reputation, Diversity, Equity & Inclusion, Recruitment & Vocal Training (Deutschland/Schweiz) tätig, hält authentische und glaubwürdige Einblicke ins eigene Unternehmen für „zunehmend wichtig“.
Anders als das bisherige von der Unternehmenskommunikation ausgerollte Employee Advocacy Program, das Mitarbeitende befähigen soll, strategische und Experten-Themen auf Social Media zu kommunizieren, sollen die Faces of Henkel vor allem auf die Employer Brand einzahlen. Daher ist dieses Programm im HR-Bereich angesiedelt. „Die neuen Botschafter sollen ganz konkret über ihre Arbeit, die Fachbereiche und Innovationen auf LinkedIn berichten. Das ist mit Einsatz verbunden, aber auch mit dem Charme, eine eigene Personal Brand aufzubauen. So können Mitarbeitende wirklich zeigen, dass sie Expertin oder Experte sind“, unterstreicht Rositzka. Weiterhin „soll und darf sich natürlich jeder Beschäftigte als Botschafter“ des Unternehmens verstehen.
Gut aufgestellt als Corporate Influencer sind Mitarbeitende, wenn sie große intrinsische Motivation mitbringen. Dazu die Bereitschaft, fachliche Expertise zu teilen und Kreativität an den Tag zu legen. Klaus Eck, auch LinkedIn-Kommunikationsberater und zudem Mitbegründer der Initiative „Corporate Influencer Club“, ordnet ein: „Ein Programm sollte so aufgestellt sein, dass es viele unterschiedliche Menschen abholt, aber so gut wie niemanden ausschließt.“ Er bestätigt eine in Deutschland zunehmende Nachfrage nach solchen Angeboten.
Auch die LinkedIn Community des Corporate-Influencer-Clubs wächst stetig. Sie zählt mehr als 10.000 Menschen, die entweder selbst als Ambassadors tätig sind und/oder entsprechende Programme aufsetzen. Zudem wachse der Wunsch nach fachlichem Austausch zwischen Botschaftern verschiedener Unternehmen, so Eck. Wie viele Unternehmen deutschlandweit Programme haben, ist schwer zu beziffern. Allerdings pflegt Eck eine Liste, die, nach Branchen geordnet, derzeit 30 Unternehmen unterschiedlicher Größe umfasst. „Meines Wissens gibt es sonst keine vergleichbare Liste“, sagt er.
USPs thematisieren – beispielsweise acht Wochen Elternzeit bei vollem Gehalt
Doch welche Themen sollen bei Henkel forciert werden? Der Konzern stehe auf jeden Fall für Diversität, so Rositzka. Auch mehr „Frauen in Führung“ schreibt Henkel sich auf die Fahnen, 50 Prozent der Management-Positionen sollen bis 2025 weiblich besetzt sein. Ebenso punkten will das Unternehmen mit Vereinbarkeitsthemen. Passend dazu: Anfang des Jahres verkündete Henkel, dass es als erstes Dax-40-Unternehmen seinen Mitarbeitenden weltweit acht Wochen Elternzeit bei vollem Gehalt anbietet. Dadurch will der Düsseldorfer Konzern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern und sich als attraktiver Arbeitgeber positionieren. Henkel verspricht, das gesetzliche Elterngeld, das hierzulande bei maximal 1800 Euro monatlich liegt, für bis zu acht Wochen auf das eigentliche Gehalt aufzustocken.
USP-Themen wie dieses könnten dank des Botschafter-Programms über die klassischen Medien hinaus mehr Aufmerksamkeit aus unterschiedlichen Perspektiven bekommen – aus Sicht der Väter beispielsweise. Ihr sei es wichtig, so Rositzka, eine diverse Botschafter-Truppe zu haben. Zur Sicherheit für alle gebe es eine Social-Media-Guideline im Unternehmen. Leitplanken seien wichtig, aber ohne Druck. Rositzka weiter: „Die Botschafterinnen und Botschafter entscheiden aber letztlich, welche Themen sie aufgreifen. Was ihnen am Herzen liegt, macht sie glaubwürdig.“
Obwohl die aus Frankreich stammende Henkel-Personalvorständin Sylvie Nicol (11.437 Follower, als CHRO zuständig für rund 48.000 Mitarbeitende weltweit) zum Großteil auf Englisch postet, entscheiden sich die meisten Henkel-Faces, vorerst bei der deutschen Sprache zu bleiben. „Eventuell stellen wir uns in einem Follow up breiter und noch internationaler auf“, sagt Rositzka. Auch harte KPI-Vorgaben wolle sie nicht vorschreiben.
Vor dem oft strittigen Punkt Arbeitszeit fürchtet sich die HR-Strategin nicht. Das Engagement der Markenbotschafter ist – so das Unternehmen – in der regulären Arbeitszeit anzusiedeln. Beim Posten gehe um eine grundsätzliche Haltung, Glaubwürdigkeit und eine nachhaltige Bereitschaft.
Experten wie Céline Flores Willers oder Klaus Eck veranschlagen – zuzüglich zu den entsprechenden Schulungseinheiten – zwei bis drei Arbeitsstunden wöchentlich für engagierte Markenbotschafter. Die Profis gehen auch davon aus, dass die Begeisterung nach den Schulungseinheiten anhält. Allerdings: Social-Media-Leads oder Community-Beauftragte braucht es weiterhin in den Unternehmen, um Programme am Leben zu erhalten. Regelmäßige Austausch-Treffen, Content-Pläne und Themendiskussionen helfen.
Corporate Influencing findet zwar häufig, aber nicht ausschließlich auf LinkedIn statt. Dabei kommt es auf die Zielgruppe und Branche an. Insights für den Berufsnachwuchs, speziell für das Handwerk oder die Feuerwehr, finden sich verstärkt auf YouTube. Reise- und Tourismus-Themen spielen sich bevorzugt auf Instagram oder TikTok ab, genauso Kulinarik- und Lifestyle-Themen. Grundsätzlich sei für die Ansprache an Fach- und Führungspositionen LinkedIn die richtige Plattform, zunehmend auch für ambitionierte Berufseinsteiger, findet Klaus Eck.
Gen Z orientiert sich an Markenbotschaftern
Christina Rositzka erwartet trotz des besonderen Castings „nicht nur Shiny-Themen“ von den Faces of Henkel. Sie glaube an die authentische und echte Darstellung der Themen durch die Mitarbeitenden.
Amelie Duckwitz, Professorin für Medien- und Webwissenschaften an der Technischen Hochschule Köln, erkennt großes Wachstum und Vielfalt in ihr bekannten Corporate-Influencer-Programmen. Je nach Unternehmenskultur oder Branche variieren die Ansätze und die Art, wie Themen bespielt werden. Unternehmen verfolgten auch unterschiedliche Ansätze und seien sehr individuell in ihrer Ausgestaltung. Allerdings gebe es noch wenig Forschung zu diesem Thema. Klar ist jedoch, dass sich das Engagement lohnt: Vor allem die Generation Z erwarte von Mitarbeitenden der Wunschunternehmen, über Social Media einen Einblick in den Berufsalltag zu bekommen.
KEYFACTS
Kosten Für die Ausarbeitung eines Corporate-Influencer-Programms fallen je nach Umfang Kosten zwischen 30.000 und 50.000 Euro an. Das Programm wird beispielsweise mit einem Querschnitt der Belegschaft in einem Workshop oder mehreren kleineren Workshop-Einheiten erarbeitet.
Personalaufwand Steht eine Strategie, gilt es, im Unternehmen eine Kern-Community zu definieren. Je nach Größe der Organisation handelt es sich um zwei bis drei Mitarbeitende. Wenn weitere fachliche Markenbotschafter gefunden wurden, kümmern sich die „Community-Betreuer“ um Creator-Upskilling und unterstützen mit Inspiration. Corporate Influencing ist zumeist Teil der regulären Arbeitszeit.
Personal Brands Mittlerweile haben sich aus Unternehmen heraus starke Eigenmarken entwickelt. Sie erzeugen für (Arbeitgeber-)Marken in der Regel viel positive Aufmerksamkeit. Für die Markenbotschafter entstehen zusätzliche Erlösquellen (über Content-Kooperationen, Produktplatzierungen oder Speaker-Honorare). Wichtig: Eine vertragliche Regelung mit dem Arbeitgeber treffen.
Quelle: Corporate Influencer Club