Was für ein Signal: Die Ökonomin Claudia Goldin hat als dritte Frau den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erhalten. Damit ehrt die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften die Leistungen der in Harvard lehrenden Amerikanerin in einem Bereich, der bisher noch wenig repräsentiert war – die Rolle der Frau in der Arbeitswelt.
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), würdigt die Auszeichnung Goldins als Weckruf für Deutschland in Sachen Chancengleichheit. „Claudia Goldin hat mit ihrer Forschung viele Leerstellen gefüllt, insbesondere in der Forschung zur Ungleichheit zwischen Männern und Frauen.” Die Gleichstellung von Mann und Frau sei heute das größte nicht ausgeschöpfte wirtschaftliche Potenzial für Deutschland, so der Ökonom.
Seit 10 Jahren Stillstand – im Durchschnitt
Solch ein Preis kann als Ansporn für Frauen gesehen werden, sich stärker in den Arbeitsmarkt einzubringen und eine Führungsposition anzustreben. Vielmehr gilt es jedoch zu hinterfragen: Warum konnten ein erstes und zweites Führungskräftepositionen-Gesetz noch so wenig bewirken?! Die Spitzen deutscher Unternehmen werden nur sehr langsam weiblicher. Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen: Im Durchschnitt ist 2022 nicht einmal jede dritte Führungsposition weiblich besetzt gewesen (28,9 Prozent). Diese Zahl stieg seit 2012 nur um 0,3 Prozentpunkte. Die größte Dichte an Chefinnen gibt es mit 33,4 Prozent im Alter von 25 bis 34 Jahren, die zweitgrößte Dichte findet sich zwischen 35 und 44 Jahren. Blickt man zusätzlich auf Zahlen der Allbright Stiftung, zeigt sich ganz aktuell: Deutsche Unternehmen begnügen sich zumeist mit nur einer Frau in den Vorständen (2023: 17,1 Prozent). Außerdem schaffen es Frauen auch weniger häufig als Männer, im eigenen Unternehmen ganz an die Spitze zu kommen. 63 Prozent der weiblichen Vorstandsmitglieder werden von extern geholt, während es bei Männern nur 44 Prozent sind. Im Ländervergleich mit anderen europäischen Staaten wie Frankreich, Polen, Schweden oder Großbritannien befindet sich Deutschland auf dem vorletzten Platz.
Was hindert Frauen daran, schneller nach oben zu kommen? Sicherlich noch traditionelle Rollenbilder. Männer sind in Deutschland zumeist die Hauptverdiener, Frauen arbeiten zumeist Teilzeit. Brennpunkt Kinderbetreuung: Trotz gesetzlicher Zusicherung wird sie nicht flächendeckend und verlässlich angeboten. Auch die Unterstützung und Pflege von Angehörigen liegt sehr oft in weiblicher Hand. Was erschwerend hinzukommt: Die Strukturen in den Unternehmen schrecken Frauen zusätzlich ab, weil sie weiterhin stark auf männliche Karriereplanung ausgerichtet sind – was sich die deutsche Wirtschaft in Zeiten von akutem Fachkräftemangel nicht mehr leisten kann.
Frauen brauchen eine andere Führungskultur
Um mehr Klarheit zu schaffen, welche Veränderungen weibliche Führungskräfte bräuchten, hat die Stuttgarter Diversity-Expertin Lilian Gehrke-Vetterkind, die selbst einige Jahre als weibliche Führungskraft mit verschiedenen Hindernissen konfrontiert war, mit der Hochschule Furtwangen eine Studie durchgeführt: „Ich wollte keinen Grabenkampf zwischen Männern und Frauen befeuern, sondern damit einen Dialograum für alle Beteiligten öffnen“, betont die 43-Jährige, die auch Gründerin einer eigenen Unternehmensberatung ist. „Mir war sehr an der Zusammenarbeit mit einem Mann gelegen, um das Thema kontrovers zu diskutieren und von allen Seiten zu beleuchten.“ Prof. Dr. Armin Trost, der Arbeits- und Organisationspsychologie lehrt, war der richtige Begleiter. Während der Coronapandemie führte Gehrke-Vetterkind Interviews mit 50 Frauen und erfuhr dadurch 50 persönliche Geschichten zur erlebten Arbeitsrealität. Daraus entstand ein Präferenzmodell, das zeigt, worauf Frauen im Falle einer Führungsposition Wert legen würden: Sie möchten laut Studie
- die Kompetenz zugeschrieben bekommen und
- in Führungsrollen begleitet werden.
- Außerdem fehlt ihnen das Vertrauen des Managements.
- Zudem wünschen sie sich eine bessere Vereinbarkeit der Position mit ihrer Lebenssituation
- sowie psychologische Sicherheit.
Wie sie führen möchten? Verantwortung teilen und den Ansatz „Servant Leadership“ anwenden – einen unterstützenden Führungsstil, um Mitarbeitende bestmöglich zu empowern.
Ihre Studienergebnisse hat die Beraterin öffentlich gemacht, um Unternehmen Orientierung zu geben. „Oft sind Karrierewege in Unternehmen klar vorstrukturiert, es handelt sich um eingetretene Pfade, ausgelegt auf Männer“, so Gehrke-Vetterkind. Damit Führungsetagen nachhaltig diverser werden können, müssen die Wege dahin offener werden. Flexibles Arbeiten oder neue Modelle wie Jobsharing können viel bewirken. Auch Führung in Teilzeit oder ein Wiedereinstieg nach einer längeren Elternzeit sollte kein Hindernis sein. Besonders junge Frauen brauchen ihrer Meinung nach mehr Selbstvertrauen. Gehrke-Vetterkind hat deshalb mit der erfahrenen HR-Führungskraft Anja Kirsammer (dreibrüder) ein Young-Female-Leadership-Programm ins Leben gerufen. Denn klar ist auch, dass Frauen selbst aktiv werden und Veränderung gestalten müssen. Um anzuspornen und einen Leitfaden zu geben, hat sie ein Buch verfasst. Der Titel: „Frau kann Chef – mit Freude und Gelassenheit in Führung gehen“ (Gabal Verlag). Es soll beispielsweise helfen zu verstehen, welche Werte von Führung in einem schlummern und wie der eigene Stil entwickelt und in der Position authentisch gelebt werden kann.
Solidarität von erfolgreichen Männern und Frauen nötig
Außer Sichtbarkeit in Unternehmen erobern Debatten rund um Female Leadership derzeit die Bühnen. Zu Recht, wie CEO und Coach Ali Mahlodji kürzlich auf der Messe Zukunft Personal in Köln bekannte: „In der Frauenförderung ist der wichtigste Hebel der Mann. Macht Frauenförderung daher nicht zum Frauenproblem!“ Er hält Mentoring und gezielt eingesetzte Male Allies für essenziell in Organisationen.
Ganz im Zeichen von Solidarität und Austausch stand auch die Netzwerkveranstaltung herCareer Mitte Oktober in München. Dort teilten 450 weibliche Role Models – Gründerinnen, erfolgreiche Femal Leaders oder Vertreterinnen von Hochschulen – Erfahrungen. Erstmals erschien auch eine begleitende Publikation (Callwey Verlag): 25 Frauen in unterschiedlichen Karrierephasen geben „ehrliche Einblicke in ihren Werdegang. Mit allen Höhen und Tiefen, Rückschlägen und Erfolgen“, wie Natascha Hoffner, Founder & CEO von herCareer, auf LinkedIn schreibt. Denn: Karrieren laufen selten glatt. Das schilderte beim Event auch Lilian Gehrke-Vetterkind in ihrem Impuls: „Wenn ich keine Krise gehabt hätte, dann hätte ich mein Business niemals so aufbauen können.“