Karrierethemen

Frank Leyhausen: "Wenn der 'Renten-Honeymoon' vorbei ist, suchen viele Menschen wieder eine Aufgabe und eine festere Struktur. Genau diese Menschen sind für Unternehmen eine große Chance." Foto: Benito Barajas
Serie Ageism (Teil 4)

“Es braucht strategisches Offboarding”

Vor zwei Jahren hat Frank Leyhausen gemeinsam mit Anja Klute Age Force 1 gegründet, um Menschen beim Übergang in die Rentenphase zu unterstützen. Jetzt suchen immer mehr Unternehmen seinen Rat im Umgang mit älteren Beschäftigten.

Herr Leyhausen, was hat Age Force 1 mit Fachkräftemangel zu tun?
Frank Leyhausen: Eine ganze Menge. Gestartet sind wir tatsächlich mit dem Fokus auf Menschen kurz vor dem Rentenalter. Für die Betroffenen ändert sich schließlich vieles, wofür sie bislang keine Erfahrungswerte hatten. Jetzt aber wird immer deutlicher, dass diese Veränderungen auch Auswirkungen auf Gesellschaft und Arbeitswelt haben. Mich überrascht immer wieder, wie viele Arbeitgebenden erstaunt sind, wie schnell ihr Unternehmen altert.

Wir dachten ehrlicherweise: So schlau sind die meisten Arbeitgebenden schon.
Plötzlich stellen immer mehr HR-Manager fest, dass auch ihre Arbeitnehmerschaft gerade massiv altert und in den nächsten fünf bis zehn Jahren bis zu 20 Prozent ihrer Belegschaft in Rente geht. Altersstrukturanalyse als Instrument gibt es zwar schon lange, wird aber von den Unternehmen noch viel zu wenig eingesetzt. Wenn überhaupt, hat man bislang Wissensmanagement betrieben, damit das Know-how im Unternehmen bleibt. Aber in Bezug auf die Menschen, die kurz vor der Rente stehen, ist der Gedanke meist noch immer: Gut, die sind dann eben weg.

Sind sie ja auch.
Aus Studien und auch aus unserer eigenen Erfahrung wissen wir: Rund acht bis zehn Monate nach Eintritt ins Rentenleben stellen sich viele die Frage: Und jetzt? Wenn, wie wir gerne sagen, der “Renten-Honeymoon” vorbei ist, suchen viele Menschen wieder eine Aufgabe und eine festere Struktur. Genau diese Menschen sind für Unternehmen eine große Chance. Laut einem Bericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) sind schon heute 15 Prozent der 65- bis 69-Jährigen und fast 13 Prozent der 70- bis 74-Jährigen weiterhin erwerbstätig.

Nicht gerade viel.
In Anbetracht des wachsenden Fachkräftemangels finde ich das schon viel. Außerdem werden diese Zahlen in den nächsten Jahren noch deutlich steigen. Mit der Boomer-Generation werden in Deutschland künftig rund eine Million Menschen verrentet – und zwar jährlich. Das heißt: Pro Jahr geht eine Stadt so groß wie Köln in Rente. Hinzu kommt: Nicht nur die Grundsumme steigt, sondern auch die Motivation, weiterzuarbeiten, gerade bei den gut Ausgebildeten. Zumal sich ja die Bedingungen für Zusatzverdienste trotz Rente deutlich verbessern.

Sind die gut ausgebildeten Rückkehrer nicht trotzdem schlicht zu teuer für die Unternehmen?
Das ist ein absoluter Trugschluss. Geld ist nicht der Trigger. Laut IAB wollen Rückkehrer in erster Linie Spaß, eine Aufgabe und menschliche Kontakte. Sie haben eine Teilzeitstelle mit im Schnitt 14,5 Wochenstunden. Für Arbeitgebende bietet das also große Chancen, hoch qualifizierte Teilzeitkräfte zu bekommen, die das Unternehmen kennen, die sich gut und gerne einbringen, die Vertretungen übernehmen oder auch besondere Peaks abfedern können.

Wie groß ist der Beratungsbedarf aufseiten der Unternehmen tatsächlich?
Wir führen immer mehr Gespräche mit Unternehmen, die von uns wissen wollen, wie sie ihre älteren Mitarbeitenden unterstützen können. Wir konnten bereits die ersten Kunden aus dem Corporate-Bereich gewinnen. Und das, obwohl wir mit einem B2C-Angebot gestartet sind. Im März habe ich über das Thema zum ersten Mal auf der South by Southwest Conference (SXSW) in Austin referieren dürfen. Weltweit merken Unternehmen jetzt einfach, welche Möglichkeiten sie verpassen.


„Wenn ich jemanden die letzten zehn Jahre seines Arbeitslebens aus HR-Sicht links liegen lasse und dann erst merke, was der oder die fürs Unternehmen geleistet hat, ist es zu spät.“

Frank Leyhausen, Gründer Age Force 1

Was also müssen Unternehmen tun?
Arbeitgebende brauchen ein strategisches Offboarding und einen konkreten Entwicklungsplan für ältere Beschäftigte. Viele Unternehmen müssen tatsächlich erst einmal lernen, auch ältere Mitarbeitende wieder genauso in alle relevanten Prozesse einzubinden wie ihre jüngeren Kolleginnen und Kollegen. Wir helfen Unternehmen dabei, sich um ihre älteren Beschäftigten so intensiv und zielgerichtet zu kümmern, dass sie erstens keine Altersdiskriminierung erfahren und dass sie zweitens – wenn sie aus der Rente zurück in die Arbeit wollen – zu ihrem ehemaligen Arbeitgebenden zurückkehren. Das ist ja längst nicht selbstverständlich, viele wechseln nach schlechten Erfahrungen dann lieber zur Konkurrenz.

Apropos Altersdiskriminierung: Es gibt Kritiker, die behaupten, das sei alles Unsinn oder einfach nur ein großer Hype. Schließlich könnte gerade die Boomer-Generation doch sehr gut für sich selbst sprechen.
Wir wissen aus Studien und unserer täglichen Arbeit, dass Menschen mit Mitte oder Ende 50 beispielsweise immer noch oft genug aus Mitarbeiterentwicklungsprogrammen rausgenommen werden, weil Unternehmen glauben, dass sich das sowieso nicht mehr lohnt. Ältere Beschäftigte werden auch viel seltener etwa in neue Projekte oder Innovation Hubs eingebunden, weil man ihnen Neues schlicht nicht mehr zutraut. Dieses sogenannte “Grey Sidelining”, bei dem Menschen sinnbildlich an den Spielfeldrand abgeschoben werden und nicht mehr im Team spielen, ist Altersdiskriminierung in Reinkultur. Ganz zu schweigen vom Recruiting. Neueinstellungen von Menschen über 50 Jahre sind für die meisten HR-Manager noch immer tabu. Beides ist aber ziemlich unschlau, weil es die denkbar schlechteste Grundlage für eine Offboarding-Strategie ist. Wenn ich jemanden die letzten zehn Jahre seines Arbeitslebens aus HR-Sicht links liegen lasse und dann erst merke, was der oder die fürs Unternehmen geleistet hat, ist es zu spät.

Was raten Sie konkret?
Unternehmensführung und HR müssen sich gezielt mit dieser speziellen Zielgruppe und dem Thema Ruhestand auseinandersetzen. Sie müssen Antworten finden auf Fragen wie: Welche Optionen, Arbeitsmodelle, Entwicklungsmöglichkeiten können wir ihnen bieten? Welche Jobangebote kann man ihnen machen? Wo lässt sich beispielsweise ein Jobsharing zwischen Alt und Jung umsetzen, was meiner Meinung nach auch ein perfektes (Reverse) Mentoring ist? Wie muss ein individuelles Gesundheitsmanagement aussehen? Wie kann man diesen Menschen (wieder) mehr Wertschätzung entgegenbringen?

Diversitätsvordenkerin Tijen Onaran hat kürzlich gefordert: Es braucht mehr alte Role Models.
Absolut. Mit der Forderung nach sogenannten Granfluencern bin ich total bei ihr. Ich würde allerdings noch einen Schritt weitergehen und sagen: Es braucht dringend auch Corporate Granfluencer. Am Aufbau solcher Netzwerke müssen Unternehmen in den nächsten Jahren konsequent arbeiten.

Sie haben auch mal gesagt: Von den sieben Dimensionen der Charta der Vielfalt ist “Alter” bislang die am wenigsten beachtete. Warum? Diversity meint für die allermeisten Menschen und Unternehmen noch immer vor allem Geschlecht und sexuelle Orientierung, also LGBTQ+. Das Alter läuft da nur so mit.

Woran machen Sie das fest?
An allem, was wir gerade besprochen haben, und der aktuellen Studie mit dem Titel “Altersbilder und Altersdiskriminierung” der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Außerdem: Unsere Gesellschaft huldigt nach wie vor dem Jugendwahn. Das fängt bei der Darstellung in den Medien an und hört bei unterschwelliger Diskriminierung auf. Die völlig unsinnige werberelevante Zielgruppe beispielsweise geht noch immer nur bis 49 Jahre. Produkte für Ältere sind Big Button Phones, die mit gebrechlichen Grauhaarigen beworben werden. Und Witze über Frauen oder Homosexuelle sind in der Gesellschaft mittlerweile – zum Glück – ausdrücklich verpönt. Über Alte aber darf man sich immer noch lustig machen. Noch blöder als Witze sind nur Sprüche wie: Für Dein Alter weißt Du aber verdammt gut, wie ein Smartphone funktioniert.

Anja Sturm
Anja Sturm ist feste freie Fachautorin im Redaktionsteam der Career Pioneer. Seit mehr als 20 Jahren ist sie als Journalistin auf Marketing, Medien, New Work und Diversity spezialsiert. Sie war stellvertretende Chefredakteurin bei HORIZONT, bevor sie 2014 entschied, sich mit einem Redaktionsbüro selbständig zu machen. Sie schreibt seither für diverse Wirtschafts- und Fachmedien, moderiert auf Fachkongressen und liebt es, als Dozentin junge Menschen für die Medien- und Kommunikationsbranche zu begeistern.
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