Karrierethemen

Julia Becker
Julia Becker macht sich dafür stark, schwere Erkrankungen in der Berufswelt zu enttabuisieren. Foto: Jakob Studnar
Krebs und Beruf

Neuer Umgang mit Krebs in der Arbeitswelt nötig

Im Exklusiv-Interview erklärt Julia Becker, Aufsichtsratsvorsitzende der Funke Mediengruppe, warum Arbeitgeber nach "Vereinbarkeit" bei schweren Erkrankungen wie Krebs suchen sollten. Ihr Konzern hat beispielhaft investiert.

“Yes we Cancer” ist eine Organisation, die sich für die Enttabuisierung von Krebs einsetzt. Vor wenigen Monaten wurde sie von der Funke Mediengruppe übernommen. Deren Aufsichtsratschefin Julia Becker sieht darin eine Pflicht als Arbeitgebende: “Jede und jeder sollte die Chance bekommen, die Art von Job zu machen, die ihr oder sein Krankheitsbild hergibt.” Auch bei Funke weiß sie von akut betroffenen Mitarbeitenden.

Treiber für die Übernahme von Yes we Cancer waren Sie und ihre Geschwister. Warum?
Weil mir dieses Thema eine große Herzensangelegenheit ist. Ich bin schon länger Mitglied im Soundingboard von Yes we Cancer und finde es erschreckend, wie wenig Unternehmen sich bislang in diesem Bereich engagieren. Außer der Initiative ‘Working with Cancer’, die Publicis vor gut einem Jahr gestartet hat und die wir fast von Anfang an unterstützen, ist mir nichts bekannt. Dabei bin ich überzeugt: Für uns als Medienhaus und als Arbeitgeber ist es mindestens so wichtig, für offene Kommunikation über Erkrankungen wie Krebs zu sorgen, wie die Menschen auch künftig mit nachrichtlichen und unterhaltenden Produkten aus dem Hause Funke zu versorgen.

Auf dem Podium der YesCon 23, einer Kongressmesse, die Yes we Cancer veranstaltet, haben Sie sehr offen über Ihre Traumatisierung durch die Krebserkrankung Ihrer Mutter, über Ihre Angst vor der eigenen Krebsvorsorge und Ihre erste Mammografie gesprochen. Wie mutig ist es, als Aufsichtsratsvorsitzende des drittgrößten Medienhauses in Deutschland, solche Dinge öffentlich zu machen?
Zunächst einmal: Meine Vorsorge ist gut verlaufen, ich bin also Gott sei Dank nicht selbst betroffen. Doch mir ist klar: Auch ich kann schon morgen selbst erkranken. Nicht nur meine Mutter war an Krebs erkrankt. Mein Vater ist vor zwei Jahren an Krebs verstorben. Das und meine Angst vor der Vorsorge waren Themen, über die ich tatsächlich lieber nicht öffentlich sprechen wollte. Doch dann saß ich auf diesem Podium gemeinsam mit fünf starken Frauen, die alle an Krebs erkrankt waren oder sind und denen man die Erkrankung teils auch ansehen konnte. Die Offenheit dieser Frauen hat mich überwältigt. Es gibt so viele Menschen, die so viel mutiger sind als ich, weil sie Krebs schon erlebt und durchgestanden haben.

Aber deshalb muss man als Medienkonzern ja nicht gleich eine Initiative wie Yes we Cancer übernehmen.
Ich bin überzeugt, dass es für Unternehmer und übrigens auch für Eigentümerinnen wie mich, die für so viele Menschen Verantwortung tragen, ein echter Mehrwert ist, zu sagen: Du bist nicht allein. Es gibt für Dich einen Platz, einen sicheren Rahmen, wo Du Dich austauschen kannst. Wir wollen unsere mediale Reichweite zur Verfügung stellen, um den Anspruch “Krebs braucht Kommunikation” größtmöglich zu unterstützen.


Die Unsicherheit und Unfähigkeit, mit der Krankheit umzugehen, führt überall zu Gefühlen von Stigmatisierung und Isolation.

– Julia Becker, Aufsichtsratsvorsitzende der Funke Mediengruppe

Wie genau wollen Sie das tun?
Es gibt verschiedene Ansätze. Beispielsweise streamen wir alle Panels der YesCon auf möglichst vielen unserer Medienplattformen. Die konkrete Ausgestaltung liegt natürlich bei den Chefredakteuren und Markenverantwortlichen, doch das grundsätzliche Commitment ist bei allen vorhanden. Darüber hinaus sind neue Initiativen geplant, etwa Fachgespräche in sogenannten Hallo-Doc-Runden. Wir hatten schon drei solcher Veranstaltungen. Eine über Glioblastome hat in Essen bei uns in der Zentrale stattgefunden. Rund 200 Menschen waren vor Ort, fast 2000 haben sich über WAZ.de zugeschaltet. Diese Zahlen, selbst bei einer so seltenen Form des Hirntumors, zeigen, wie sehr sich Menschen interessieren und wie wichtig es ist, dem Thema Krebs eine größere Öffentlichkeit zu geben.

Funke Medien ist auch selbst ein großer Arbeitgeber. Laut Robert-Koch-Institut erkrankt in Deutschland fast jeder Zweite im Laufe seines Lebens an Krebs, doch nur die Hälfte der Betroffenen erzählt von ihrer Erkrankung im Job. Ein Versagen der Arbeitgeber?
Ganz klar: Ja. Das ist ein Versagen der Arbeitgeber. Aber nicht nur. Unternehmen und öffentliche Einrichtungen sind ein Spiegelbild der Gesellschaft. Die Unsicherheit und Unfähigkeit, mit der Krankheit umzugehen, führt überall zu Gefühlen von Stigmatisierung und Isolation. Umso wichtiger ist es, dass wir als Arbeitgeber diesen Kreislauf durchbrechen. Ich möchte, dass unsere Mitarbeitenden wissen: Wir wollen mit Erkrankungen wie Krebs offen umgehen. Wobei zur Ehrlichkeit gehört, dass ich als Arbeitgeber diese Offenheit auch rein wirtschaftlich als echten Mehrwert bei der Akquirierung von Fachkräften sehe.

Viele verschweigen ihre Erkrankung, weil sie spätestens bei einem Jobwechsel Nachteile befürchten. Würden Sie einen Menschen einstellen, von dem Sie wissen, dass er Krebs hatte und sein Risiko, wieder daran zu erkranken, hoch ist?
Ohne Wenn und Aber: Ja. Vermutlich würde dieser Mensch einen etwas anderen Arbeitsvertrag und eine individuellere Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses bekommen, zum Beispiel in Teilzeit und mit größerem Homeoffice-Anteil. Doch die Möglichkeiten für flexibles Arbeiten sind heute so groß, dass jede und jeder Beschäftigte die Chance bekommen sollte, die Art von Job zu machen, die ihr oder sein Krankheitsbild hergibt. Natürlich darf das nicht zulasten der Organisation gehen, aber ich würde sagen: Mit gesundem Menschenverstand, Empathie und Verantwortung kann man für jedes Krankheitsbild eine Lösung finden.

Von wie vielen akut krebserkrankten Mitarbeitenden bei Funke wissen Sie?
Wir wissen aktuell von fünf Fällen in unserem Unternehmen.


Mit Beratungsangeboten und Schulungen wollen wir ein Umdenken in Gang setzen und Führungskräften helfen, auf erkrankte Mitarbeitende in angemessener und empathischer Art und Weise zu reagieren.

– Julia Becker, Aufsichtsratsvorsitzende der Funke Mediengruppe

Ganz schön wenig bei über 5000 Beschäftigten. Auch bei Funke gibt es offenbar eine hohe Dunkelziffer.
Stand heute würde ich sagen: Gott sei Dank wissen wir zumindest von diesen fünfen. Wir wissen beispielsweise von einem an Knochenkrebs erkrankten Fotografen, der unbedingt weiterarbeiten will und der nun gemeinsam mit Yes we Cancer und der Berliner Charité einen Fotoband zum Thema erarbeitet. Ich kann nur hoffen, dass sich künftig noch mehr Mitarbeitende öffnen werden.

Sie können mehr als hoffen. Mit welchen Maßnahmen forcieren Sie eine offenere Unternehmenskultur?
Dank Yes we Cancer haben wir uns das Thema noch mal ganz anders auf die Fahne geschrieben. Seit Januar haben wir eine Stabsstelle Cultural Affairs, die dieses Thema explizit vorantreiben wird und erste Anlaufstelle für das Thema Krebs am Arbeitsplatz ist. Im Fokus sind Betroffene, aber auch Führungskräfte, denen wir beim offenen Umgang mit dem Thema helfen wollen. Viele wissen ja gar nicht, was sie tun sollen, wenn plötzlich ein Mitarbeitender offen über seine Krebserkrankung spricht. Mit Beratungsangeboten und Schulungen wollen wir ein Umdenken in Gang setzen und Führungskräften helfen, auf erkrankte Mitarbeitende in angemessener und empathischer Art und Weise zu reagieren. Gemeinsam mit Yvonne Ulrich, Geschäftsführerin Syneos Health, die selbst an Brustkrebs erkrankt ist und sich auch bei Yes we Cancer engagiert, entwickeln wir außerdem eine Toolbox für offene Kommunikation über Krebs. Zunächst für unsere Mitarbeitenden und Führungskräfte, später wollen wir die Box auch anderen Unternehmen zur Verfügung stellen. Mein Ziel ist es, dass sich künftig noch sehr viel mehr Arbeitgebende für dieses Thema öffnen.

Die Toolbox wird vermutlich nicht kostenlos sein.
Klar wäre es toll, so eine Toolbox monetarisieren zu können. Im Idealfall wären Yes we Cancer und YesCon irgendwann nicht mehr nur auf Spendengelder angewiesen.

Die Vermarktung der Initiative dürfte für Funke attraktiv sein. Denn die Community besteht aus rund 20.000 von Krebs betroffenen Menschen, die über eine App verbunden sind. Ein starker Datenpool. Und die YesCon bietet Pharmaindustrie und anderen Heilbranchen wunderbare Werbeplattformen.
Um es klar zu sagen: Unsere Akquisition bei Yes we Cancer hat keinerlei wirtschaftliche Motivation. Was auch immer an Geldern fließt, wird eins zu eins reinvestiert, aber ganz sicher nicht auf dem Gesellschafterkonto von Funke landen. Wir haben nur die KG übernommen. Die gemeinnützige gGmbH, die Veranstalterin der YesCon und Eigentümerin von App und Datenpool ist, befindet sich weiterhin bei dem Gründer Jörg A. Hoppe. Und das ist auch gut so. Keine Sorge: Die Menschen, die auf der App unterwegs sind, bekommen künftig nicht dauernd “Das goldene Blatt” empfohlen.

Anja Sturm
Die Fachautorin gehört zum Redaktionsteam der Career Pioneer. Seit mehr als 20 Jahren ist sie als Journalistin auf Marketing, Medien, New Work und Diversity spezialisiert. Sie war stellvertretende Chefredakteurin bei HORIZONT, bevor sie 2014 entschied, sich mit einem Redaktionsbüro selbständig zu machen. Seither schreibt sie für divers Wirtschafts- und Fachmedien, moderiert auf Fachkongressen und liebt es, als Dozentin junge Menschen für die Medienbranche zu begeistern.
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