Früh schon hatte der Trend einen Namen oder besser eine Abkürzung: RTO, Return to Office. Nach den Wünschen einer wachsenden Anzahl von Unternehmen soll die Rückkehr ins Büro wieder der einzig richtige Arbeitsmodus sein. Gut vier Jahre nach Ausbruch der Coronapandemie, die landesweit das Gros zumindest der White-Collar-Arbeitnehmenden ins heimische Büro oder an den heimischen Küchentisch zwang, wollen immer mehr Arbeitgebende das Rad wieder so weit wie möglich zurückzudrehen. Oder sie schaffen ihre Homeoffice-Regelungen gleich ganz ab.
Über die stets länger werdende Liste der Unternehmen mit RTO-Ambitionen und deren Argumente ist zuletzt viel berichtet worden. Mitte Juni beispielsweise gab Springer-Chef Mathias Döpfner bekannt, möglichst alle Mitarbeitenden wieder zurück ins Büro holen zu wollen. „Physische Nähe und persönliche Interaktionen“, so Döpfner, spielten im Verlag für diverse Faktoren eine Rolle, von denen der künftige Erfolg des Konzerns abhänge.
Nur 15 Prozent neuer Jobs mit Homeoffice-Option
Richtig ist auch: Laut aktuellen Zahlen des Indeed-Arbeitsmarkt-Indexes nannten zwischen Januar und Mai 2024 nur noch rund 15 Prozent der analysierten Stellenanzeigen explizit eine Homeoffice-Option. Das Problem dabei: Viele Arbeitnehmende denken gar nicht daran, ihrem liebgewonnenen Homeoffice den Rücken zu kehren.
Eine neue Studie von Gartner zeigt, dass bei strikten RTO-Anordnungen die Absicht, weiterhin im selben Unternehmen zu bleiben, ausgerechnet bei Top-Performern um 16 Prozent niedriger ist als ohne solche Vorgaben. Mit anderen Worten: Bei RTO suchen gute Leute oft das Weite. Gartner zufolge liege das vor allem daran, dass „sehr leistungsstarke Mitarbeitende“ RTO-Pflichten als Signal verstehen, dass das Unternehmen ihnen nicht genug Vertrauen entgegenbringt, um selbst darüber zu entscheiden, wie sie am besten arbeiten.
Insider wie Marcel Ramin Derakhchan formulieren es noch härter: „Was zu Zeiten der Pandemie absolut Sinn ergeben hat, gestaltet sich nun als Hemmschuh in der Beziehung zwischen Chefs und ihren Angestellten.“ Derakhchan ist Gründer und Geschäftsführer des Münchner Headhunters dla – digital leaders advisory, und er sagt: „Man möchte die Menschen vor Ort haben, um sie besser kontrollieren und im Auge behalten zu können. Aber das sorgt durch die Bank für Unmut. Denn es zeigt, wie sehr Führungskräfte ihren Mitarbeitenden misstrauen und wie viel nicht kommunizierte Erwartungen in der Luft liegen.“ Derakhchans Rat: „Jedes Team entwickelt seine eigene Dynamik. Es ist deshalb viel sinnvoller, solche Mikrokulturen zu fördern, statt des ganzen Kontrolletti-Gehabes.“
Mehr Homeoffice, weniger Burnout
Eine neue Untersuchung der International Workplace Group hat derweil belegt: Tatsächlich kommen auf Vertrauen und smarter Führung basierende Homeoffice-Regelungen bei den meisten Menschen mittlerweile sehr gut an. Von mehr als 1000 befragten Arbeitnehmenden verspüren 75 Prozent seit der Umstellung auf ein Hybrid-Modell weniger Burnout-Symptome. Der zusätzliche Freizeitgewinn durch hybrides Arbeiten habe zu einer besseren Work-Life-Balance (86 Prozent), mehr körperlicher Betätigung (54 Prozent), gesünderer Mahlzeitenzubereitung (58 Prozent) und besserer Schlafqualität (68 Prozent) geführt.
Letztlich aber steigern nicht nur die faktischen Auswirkungen größerer Flexibilität die Zufriedenheit der Mitarbeitenden. Für Ines Imdahl, Geschäftsführerin Rheingold Salon, geht es auch um das Thema Wertschätzung: „Arbeitnehmer fühlen sich durch die Office-Pflicht gemaßregelt oder erleben diese als Misstrauensvotum.“ Und das gelte selbst dann, wenn die Selbststrukturierung von Arbeitszeit und Arbeitsraum in Mobile Office oder Homeoffice viele Mitarbeitende eher stresse.
„Bei weitem nicht allen fällt es leicht, außerhalb des Offices eine konzentrierte Arbeitsverfassung aufbauen“, betont Imdahl. Allein der Raumwechsel, also der Weg zum Arbeitsplatz, trage für viele Menschen schon zum Verfassungswechsel bei. „Dennoch möchten sie als Wertschätzung ihnen gegenüber die Option auf Mobile Office oder Homeoffice behalten, weil es sonst eben wie eine Rücknahme der Privilegien wirkt“, glaubt die Chefin des Rheingold Salons.
RTO erschwert Recruiting
Imdahls Punkt ist aber nicht der einzige. Starre RTO-Anordnungen verstimmen und vertreiben nicht nur die eigenen Leute. Auch das Recruiting neuer Mitarbeitender wird dadurch schwerer. Für Headhunter Derakhchan zeigt sich die wachsende Diskrepanz in seinem Business immer häufiger darin, „dass sich die Anforderungsprofile der Unternehmen im Hinblick auf die zeitliche Präsenz im Büro immer weiter von den Vorstellungen potenzieller Kandidaten entfernen.“ Wer händeringend neue, motivierte Leute sucht, sollte sich den flächendeckenden Rückruf ins Büro also besser zweimal überlegen.
Einer, der das bereits verstanden hat, ist Bernd Rabsahl, CEO der Düsseldorfer It Works Group: „Wir haben bisher keinen Anlass gesehen, unsere bestehende Regelung von vier Bürotagen pro Monat zu ändern.“ Denn auch dem Unternehmen bringe die Regelung erhebliche Vorteile. „Es fällt uns viel leichter, qualifiziertes Personal am Arbeitsmarkt zu finden, da wir standortübergreifend rekrutieren können“, sagt Rabsahl. So vergrößere sich der Kreis potenzieller Kandidatinnen und Kandidaten erheblich. „Unsere Erfahrungen sind durchweg positiv und unsere Kolleginnen und Kollegen haben sich komplett auf dieses Modell eingestellt.“
Differenzierung wichtig
Beliebig miteinander vergleichbar ist aber natürlich auch in diesem Punkt eine Agentur mit ein paar Dutzend Mitarbeitenden nicht mit einem Konzern. Erfolg oder Misserfolg von Mitarbeiterbindung und Recruiting wird von RTO allenfalls tangiert, nicht aber entschieden. Und wie so oft im (Business)-Leben steckt auch bei der Frage nach den richtigen Arbeitsmodellen die Lösung in individuellen Details. Rheingold-Chefin Imdahl: „Für Arbeitgebende stellten sich mit der Remote-Arbeit völlig neue Führungs-, Strukturierungs- und Organisationsherausforderungen. Es geht nicht darum, es den Arbeitnehmern in allen Punkten ‚recht‘ zu machen, aber es geht auch nicht darum, dass Arbeitgeber ihre vermeintliche Machtrolle ausspielen sollten.“
Imdahl nutzt zur Differenzierung den Begriff der „erfüllenden Tätigkeit“. Diese sei in manchen Bereichen nur gemeinsam in Präsenz mit anderen möglich. Für andere Arbeiten wiederum sei ein Rückzug ins Homeoffice vielleicht sehr sinnvoll und weiterführend. „Die sinnhafte Regelung von RTO sollte im Mittelpunkt der Arbeit stehen“, sagt Imdahl. Allgemeine Regeln hingegen fühlten sich immer für mindestens einen Teil der Arbeitnehmer oder Arbeitgeber „falsch und sinnlos“ an. „Sinnhafte Abläufe schaffen sinnhafte Office-Regeln. Das ist unserer Meinung nach besser als festgelegte ,flexible‘ Homeoffice- und Office-Tage“, so die Rheingold-Managerin.
Einen ebenso simplen wie nachvollziehbaren Hinweis für alle, die sich dennoch schwer damit tun, ihren Mitarbeitenden zu vertrauen und die Entscheidung über flexibleres Arbeiten selbst zu überlassen, hat Thomas Masek. Der Co-CEO von Crossvertise sagt: „Es ist uns wichtig, dass unsere Mitarbeitenden gerne bei uns arbeiten und ihren Arbeitsalltag flexibel gestalten können. Wer nicht arbeiten will, tut das auch im Büro nicht.“