Karrierethemen

Von wegen Digitalmuffel! Ältere Mitarbeitende bereichern Teams. Foto: PanterMedia/Andriy Popov
Serie Ageism (Teil1)

Darum sind ältere Mitarbeitende so wertvoll für Unternehmen

In Zeiten des Fachkräftemangels sind Mitarbeitende jenseits der 50 zunehmend attraktiv. Diversity und demografische Entwicklung treiben den Trend.

Woran merkt man, dass man alt wird? Wenn andere Fahrgäste in der U-Bahn einen Sitzplatz anbieten? Wenn die Kellnerin in der Loungebar zum förmlichen “Sie” ansetzt? Oder wenn der Jobwechsel plötzlich ungewohnt schwer wird und sich partout kein objektiver Grund dafür finden lässt?

Ein Drittel der Befragten nimmt ältere Menschen als Blockierer wahr

Letzteres auf jeden Fall. Wissenschaftler der Universität Gent haben in einer Feldstudie nachgewiesen, dass die Chancen von Bewerbern auf ein Vorstellungsgespräch um satte 48 Prozent sinken, wenn diese älter als 50 Jahre alt sind. Das nennt man dann wohl Altersdiskriminierung in Reinform.

Ähnliches ließ eine Studie von Ferda Ataman, Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Mitte Dezember durchblicken. Danach nimmt rund ein Drittel der Befragten ältere Menschen als Blockierer wahr und fordert, dass sie berufliche und gesellschaftliche Rollen aufgeben sollten, um Platz für Jüngere zu machen. Prompt sah sich auch Arbeitsminister Hubertus Heil in der Pflicht, ein “Umdenken” in der deutschen Wirtschaft und “mehr Chancen” für ältere Arbeitnehmende zu fordern, um die “Wachstumsbremse” zu lösen.

So weit, so vorhersehbar. Und doch könnte – und muss – sich in den nächsten Jahren einiges ändern. Denn immer mehr Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber entdecken ihr Herz für ältere Arbeitnehmende. Und wenn nicht gleich ihr Herz, so zumindest die Notwendigkeit, ihre Teams altersdiverser aufzustellen und dem demografischen Wandel möglichst viele positive Seiten abzugewinnen.

Unternehmen müssen an Konzepten arbeiten

Ganz neu ist die steigende Altersentwicklung unter deutschen Arbeitnehmenden zwar nicht. Laut Statistischem Bundesamt ist die Erwerbstätigenquote der 55- bis 64-Jährigen schon in den letzten zehn Jahren deutlich gestiegen: von 62 Prozent im Jahr 2012 auf knapp 72 Prozent im Jahr 2021. Doch jetzt liegen die Gründe nicht mehr nur im veränderten gesetzlichen Renteneintrittsalter. Sie liegen vor allem in dem sich rasant zuspitzenden Fachkräftemangel. Wo nicht genügend junge Talente nachkommen, müssen eben die Alten wieder ran.

Deshalb hat sich das Human-Resources-Management schon während der vergangenen Jahre in jenen Branchen verändert, die vom “War for talents” besonders stark betroffen waren. In den naturwissenschaftlich-technischen MINT-Berufen etwa war 2021 fast ein Viertel (24 Prozent) der Beschäftigten 55 Jahre und älter. 2012 lag der Anteil dort noch bei 17 Prozent. Bei den Pflegekräften stieg der Anteil in der Altersgruppe 55plus binnen zehn Jahren von 15 Prozent auf 23 Prozent.


„Vielen geht es nicht (mehr) um schnelle Aufstiegsmöglichkeiten, sondern um eine sinnvolle Aufgabe im Team.“

– Thomas Lüdeke, Managing Partner PRCC Personalberatung

Aktuell wächst die Not auch in anderen Branchen. Personalberater Frank Rechsteiner bekannte auf Xing kürzlich freimütig: “Unternehmen fordern mich als Headhunter auf, Mitarbeitende Ü60 zu beschaffen”. Das ist zwar alles andere als politisch korrekt und glasklare Altersdiskriminierung in die andere Richtung. Doch sei’s drum.

Deutlich vorsichtiger drückt es Thomas Lüdeke, Managing Partner PRCC Personalberatung, aus: “Der angespannte Arbeitsmarkt regelt gerade einiges mit ungewohnter Geschwindigkeit, und das wird auch den Ü50 spürbar zugutekommen.” Der weitaus größere Teil der über 50-Jährigen sei jedenfalls “immer häufiger Teil der Lösung” statt des Problems.

Große Expertise, langjährig aufgebauter Erfahrungsschatz und eine gute Portion Gelassenheit wird den Ü50 gerne zugeschrieben. Lüdeke: “Lebenserfahrung ist wichtig, gerade in Zeiten mit vielen Veränderungen. Hinzu kommen ein gewisses diplomatisches Geschick sowie das Aushalten von Druck und Veränderungen.” Was außerdem für ältere Bewerber spreche: “Vielen geht es nicht (mehr) um schnelle Aufstiegsmöglichkeiten, sondern um eine sinnvolle Aufgabe im Team.”

Gelassenheit, Erfahrung, lebenslanges Lernen

Auch das lange Zeit zäh verteidigte Klischee, ältere Mitarbeiter seien weniger digitalaffin, verpufft in immer mehr Köpfen von Personalern und HR-Managern. Stattdessen wächst die Erkenntnis, dass digitale Expertise keine Frage des Alters, sondern der Bereitschaft zu lebenslangem Lernen ist – und dass es digitale Nullchecker auch unter Jüngeren in nennenswerter Zahl gibt.

Ziemlich weit vorne bei der Idee, Ü50-Menschen in Lohn und Brot zu stellen, ist die Bahn. Jahrelang als überaltert gescholten, entwickelt sich der seit jeher recht seniorige Personalmix des Konzerns allmählich zum Asset. Aktuell sind rund 40 Prozent der Beschäftigten der DB Deutschland über 50 Jahre alt, Tendenz weiter steigend: 2022 wuchs die Zahl der Einstellungszusagen an Bewerberinnen und Bewerber über 50 auf 3200 (im Vorjahr waren es 2300). “Wir reduzieren nicht auf das Alter, wenn wir Stellen besetzen”, heißt es bei der Bahn. “Für uns zählt, was ein Mensch mitbringt – viel Erfahrung, viel Expertenwissen. Deshalb sprechen wir auch eher von ‘erfahren’ als von ‘alt’.”

Teilzeit- und flexible Arbeitszeitmodelle

Mal sehen, ob das neue Wording auch den Werbern schmeckt. Laut Agenturverband GWA waren 2021 gerade mal sieben Prozent der deutschlandweiten Agenturmitarbeitenden über 55 Jahre alt. Das kann man eine Herausforderung nennen – oder ein Armutszeugnis. Immerhin ist das Problem mittlerweile erkannt. Hatten Werbedienstleister die Best Ager bislang, wenn überhaupt, nur als attraktive Konsumentenzielgruppe auf dem Schirm, wollen sie die “Alten” jetzt auch als Mitarbeitende gewinnen. Ihre Liebe zur einst gerne auch mal als “Lehmschicht” verschmähten Ü50-Gruppe ist voll entbrannt.

Christian Rätsch, demnächst scheidender CEO bei Saatchi & Saatchi, brachte im Dezember auf LinkedIn sogar eine Ü50-Quote ins Gespräch. Zwar relativierte er die Idee kurz darauf als “rhetorisch”. Doch das Thema ist gesetzt, und seine Thesen sind schlüssig. Vier Hürden müssten genommen beziehungsweise Klischees beerdigt werden: Ü50 würden doch nur auf die Rente schielen, Ü50 seien zu wenig leistungsbereit, und Ü50 kämen schnell an ihre Grenzen. Zudem, so Rätsch, müsse die “Opferhaltung” bei den Alten weg. “Wer viel im Leben erlebt hat, muss sich dafür nicht entschuldigen”, findet der 50-Jährige.

Anja Sturm
Anja Sturm ist feste freie Fachautorin im Redaktionsteam der Career Pioneer. Seit mehr als 20 Jahren ist sie als Journalistin auf Marketing, Medien, New Work und Diversity spezialsiert. Sie war stellvertretende Chefredakteurin bei HORIZONT, bevor sie 2014 entschied, sich mit einem Redaktionsbüro selbständig zu machen. Sie schreibt seither für diverse Wirtschafts- und Fachmedien, moderiert auf Fachkongressen und liebt es, als Dozentin junge Menschen für die Medien- und Kommunikationsbranche zu begeistern.
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