Nach Island und Großbritannien testet ab Februar 2024 die deutsche Wirtschaft die 4-Tage-Woche in einem Modellversuch. Dieser wird sich über einen Zeitraum von sechs Monaten erstrecken. Für das Testmodell können sich bis zu 50 Unternehmen jeder Größe und aus allen Branchen bewerben – Anmeldeschluss ist Ende November.
“Über 40 Unternehmen haben bereits zugesagt”, teilt Projektinitiator Carsten Meier auf Nachfrage mit. Er ist Co-Founder von Intraprenör, einer Beratungsagentur in Berlin, die selbst seit sieben Jahren in ihrer Belegschaft eine 4-Tage-Woche praktiziert. Die am Modellversuch teilnehmenden Firmen seien “ein Querschnitt durch Unternehmensgrößen und Branchen. Dabei überwiegt drei Wochen vor Bewerbungsschluss der Anteil von kleinen und Mittelstandsunternehmen.” Diese allerdings sind nicht nur dem sogenannten White-Collar-Bereich zuzuordnen, sondern kommen auch aus der Industrie, der Gastronomie, dem Handel – selbst Kita-Einrichtungen sind dabei.
In Partnerschaft mit 4 Day Week Global, Initiatoren der weltweit größten Pilotstudien in Großbritannien, Südafrika, Australien und Irland, organisiert Intraprenör die erste groß angelegte Pilotstudie zur 4-Tage-Woche für Deutschland. Im Modellversuch geht es darum, die Wochenarbeitszeit statt auf fünf Tage nun auf vier Arbeitstage zu verteilen. Das bedeutet dann auch eine Verringerung der Gesamtarbeitszeit, beispielsweise von 40 auf nur noch 36 oder 32 Stunden. In einem Unternehmen müssen auch nicht alle Beschäftigten an der Studie teilnehmen. Der Modellversuch der deutschen Wirtschaft ist für Meier ein Herzensprojekt. “Kein Fokus auf Laptop-Arbeit”, ist ihm dabei wichtig. Flexibilisierung und Vollzeit mit weniger Sunden sei prinzipiell überall denkbar, wenn die Parameter stimmten. “Mit weniger Zeit die gleiche Leistung zum gleichen Gehalt. Es handelt sich generell um eine Haltung, als Unternehmer diesen Weg gehen zu wollen”, so der 34-Jährige.
Belastbare Studie für die deutsche Wirtschaft
Das Testmodell wird von Prof. Dr. Julia Backmann wissenschaftlich begleitet (Westfälische Wilhelms-Universität Münster). Es gehe auch darum, die deutsche Studie umfangreicher aufzusetzen als bisherige aus dem Ausland, so Meier. Diese nämlich sind angreifbar in ihrer Auslegung – wenn sie so gelesen werden, dass die Umstellung von fünf auf vier Arbeitstage in der Regel mit mehr Produktivität und zufriedeneren Beschäftigten einhergeht.
Arbeitsmarktexperte Guido Zander hat deshalb im Herbst das Buch “Wundermittel 4-Tage-Woche?” (Haufe Verlag) veröffentlicht, wo er die Schwächen hervorhebt und vor pauschalen Annahmen warnt. Der für ihn schwierigste Punkt: In den Studien sei immer von einer Arbeitszeitreduzierung die Rede gewesen, in der Großbritannien-Studie eine Verringerung von durchschnittlich 4,86 auf 4,52 Tage – von 60 teilnehmenden Unternehmen kamen auch nur vier aus dem produzierenden Gewerbe. In der Island-Studie sei ebenfalls nie klar festgelegt gewesen, dass die reduzierte Arbeitszeit nur in vier Tagen stattgefunden habe, vielmehr gehe aus der Studie hervor, dass an fünf Tagen deutlich flexibler gearbeitet wurde.
Was für Zander feststeht: Handelt es sich um Unternehmen, wo beispielsweise kein kontinuierlicher Betrieb vorliegen muss, wo es keine gebundenen Öffnungszeiten geben muss, wo in einem wirtschaftlich potenten Unternehmen administrativ gearbeitet wird, stehen die Voraussetzungen für die Einführung einer 4-Tage-Woche gut. Zumal davon auszugehen ist, dass in solchen Unternehmen eine Produktivitätssteigerung beispielsweise wegen unproduktiver Meetings oder vielen Arbeitsunterbrechungen möglich ist. Microsoft in Japan, wo über vier Wochen eine 4-Tage-Woche getestet wurde, war solch ein prädestiniertes Unternehmen. “Es wäre fatal, daraus abzuleiten, dass diese Art der 4-Tage-Woche überall möglich wäre”, sagt Zander.
4-Tage-Woche wird mit zum wichtigsten Benefit
Laut einer Datenanalyse der Berliner Employer-Branding-Beratung Index, die der “Welt” exklusiv vorliegt, hat sich die Zahl der Ausschreibungen mit dem Benefit 4-Tage-Woche seit 2019 mehr als versechsfacht. Die mit dem Schlagwort meisten Anzeigen wurden in diesem Jahr im Bauwesen und Handwerk geschaltet, gefolgt von technischen Berufen, Tourismus und Gastgewerbe. Flexiblere Arbeitszeiten und eine verkürzte Arbeitswoche werden neben dem Gehalt zunehmend zum wichtigsten Benefit. 81 Prozent der Deutschen wünschen sich derzeit eine 4-Tage-Woche (Studie der Hans-Böckler-Stiftung). Befürworter erwarten zudem, dass eine Umstellung auf eine kürzere Vollzeit in vier Tagen auch beim Thema Gleichstellung und Klimaschutz positive Effekte bringen.
Mehr Zufriedenheit, bessere Work-Life-Balance, bessere Vereinbarkeit, weniger Krankentage – die positiven Haupterkenntnisse aus der UK-Studie von 2022 kann Meier gut nachvollziehen. Er praktiziert seit sieben Jahren im eigenen Unternehmen die kurze Arbeitswoche in Vollzeit bei 32 Wochenstunden. Eingeführt wurde sie damals mit sechs Personen, mittlerweile hat sich die Belegschaft verdoppelt. Für dieses Modell hat sein Unternehmen 2018 den New Work Award gewonnen.
Durch eine intensive wissenschaftliche Begleitung mit umfangreichen Interviews der Beschäftigten erhofft sich Meier fundierte, belastbare Daten für Deutschland. “Derzeit haben viele eine subjektive Meinung. Nach der Studie können wir alle aufgrund von Daten bessere Entscheidungen treffen”, sagt er. Zander wünscht sich ebenfalls, dass künftig mehr Flexibilität in allen Branchen möglich ist. “Die aktuelle Diskussion vermittelt häuftig den Eindruck, dass mit einem einzigen Modell alle Probleme in allen Unternehmen dieser Welt gelöst werden können.”
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