Karrierethemen

Sichtbarkeit: Die ältere Generation braucht mehr Vorbilder. Foto: Imago
Serie Ageism (Teil 3)

Age Influencer gesucht

Ältere Beschäftigte gewinnen auf dem Arbeitsmarkt zunehmend an Attraktivität. Darum fordert Diversitätsvorkämpferin Tijen Onaran passende Role Models.

Der Wille in Unternehmen wächst, auch Menschen jenseits der 50 als Menschen zu sehen, die einen Job nicht nur ausüben wollen, sondern auch ausüben können. Doch was ist mit den Taten? Wie weit sind Unternehmen heute schon tatsächlich mit der konkreten Umsetzung von Altersdiversität? Tijen Onaran, eine der bekanntesten und erfolgreichsten Diversitätsvorkämpferinnen, gibt den Unternehmen auf einer Skala von eins (sehr schlecht) bis 10 (super) eine “solide sechs”. Sie sagt: “Einige Unternehmen haben wirklich erkannt, dass sie schlichtweg nicht mehr wettbewerbsfähig sind, wenn sie nicht auf eine diverse Altersstruktur setzen.” Mittlerweile sei die Dimension “Alter” in ihrer Diversity-Beratung eines der am meisten nachgefragten Themen überhaupt.

Bei Beratern nachfragen tun die Unternehmen also schon mal. Fragt man sie selbst, halten sich viele aber noch ziemlich bedeckt – oder antworten erst gar nicht. Von zwölf für diesen Beitrag angeschriebenen Unternehmen schaffen es gerade mal sechs, überhaupt Angaben zu ihren Strategien für mehr Altersdiversität zu machen. Vier Unternehmen antworten gar nicht. Ein Kosmetikkonzern lässt ausrichten, binnen der dreiwöchigen Frist “aus Kapazitätsgründen” leider nicht antworten zu können. Eine Versicherung schickt immerhin den Satz: “Unsere Einstellungsentscheidung hängt von der Qualifikation, der persönlichen Motivation und dem Cultural Fit des Bewerbers ab, nicht vom Alter.” Hört sich nach PR an? Ist es auch.

EnBW zeigt Flagge

So weit, so ernüchternd. Aber es geht auch anders. Deutlich gehaltvollere Aussagen kommen von EnBW. Colette Rückert-Hennen, Personalvorständin des Energiekonzerns, arbeitet “sehr gerne in vielfältigen Teams, denn die Erfahrung langjähriger Kolleginnen und Kollegen, gemischt mit der Agilität der Jüngeren, funktioniert meiner Meinung nach am besten.”

39 Prozent der Mitarbeitenden bei EnBW sind derzeit über 50 Jahre alt. 2022 waren von 815 Neueintritten 81 über 50, was einer Quote von 10 Prozent entspricht. Rückert-Hennen: “Ich finde, dass wir schon gut positioniert sind.” Dennoch könne man sich vor allem im Bereich Neueinstellungen noch verbessern. Ohne Zweifel seien Ü50-Mitarbeitende Teil der Lösung und nicht des Problems: “Talent hat nichts mit dem Alter zu tun.”

Auch deshalb gebe EnBW allen Mitarbeitenden die Chance, sich weiterzuentwickeln. “Es ist nicht richtig, zu behaupten, dass Menschen nur bis zu einem gewissen Alter lern- und leistungsfähig sind”, so die Personalvorständin. “Wir haben sehr gute Erfahrungen mit langjährigen Mitarbeitenden gemacht, die einen ganz wesentlichen Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten.”

Eine Erfahrung, die längst auch Mercedes macht. Seit 2015 arbeitet der Konzern an einer Strategie zu Ausbau und Stärkung von Altersdiversität. Damals hat Mercedes die inzwischen preisgekrönte Erlebnisausstellung “EY ALTER” und die Demografie-Initiative “YES – Young and Experienced together Successfull” ins Leben gerufen. Ziel von YES war es, “einen Kulturwandel im Unternehmen anzustoßen und die Zusammenarbeit von jungen und erfahrenen Mitarbeitern in der Produktion zu fördern”, heißt es beim Konzern. Rund 650 Führungskräfte haben seither an über 30 Workshops teilgenommen und daraus mehr als 250 Maßnahmen abgeleitet. “Ein Schwerpunkt unserer nachhaltigen Personalentwicklung sind das ‘Lebenslange Lernen’ und die ‘Altersunabhängige Weiterbildung’ der Beschäftigten”, betont Mercedes.

Qualifizierungsoffensive “Turn2Learn” bei Mercedes

Vor knapp einem Jahr wurde dafür die neue unternehmensweite Qualifizierungsoffensive “Turn2Learn” gestartet. In deren Rahmen investiert Mercedes allein in Deutschland bis 2030 knapp 1,3 Mrd. Euro in eLearning-Plattformen und andere Weiterbildungsmaßnahmen. Zum Programmstart im Juli 2022 sagte Sabine Kohleisen, Personalvorständin und Arbeitsdirektorin der Mercedes-Benz Group: “Mit Turn2Learn schaffen wir grenzenlose Möglichkeiten für lebenslanges Lernen. In der Transformation ist lebenslanges Lernen kein Modewort, sondern die Bedingung für den Erfolg – für das Unternehmen sowie alle Kolleginnen und Kollegen.” Mercedes geht sogar noch einen Schritt weiter: Im Programm “Senior Experts” greift der Konzern auf das Know-how schon im Ruhestand befindlicher Mitarbeitenden zurück, die ihr Wissen zeitlich befristet in Projekteinsätzen einbringen.

Auch bei Nestlé tut sich was. Boris Stojevic, Head of Talent bei Nestlé Deutschland, sagt: “Diversität und Inklusion sind zentrale Grundlagen der Firmenkultur von Nestlé. Wir sind davon überzeugt, dass Vielfalt einen großen Beitrag zu außergewöhnlichen Ergebnissen leistet.” Das hört sich zwar auch nach politisch korrektem PR-Sprech an. Doch Stojevic kann die Vielfalt zumindest in Hinblick auf Altersdiversität mit Zahlen belegen. Der Anteil der Ü50 unter den neu eingestellten, unbefristeten Beschäftigten lag 2022 bei 14,6 Prozent und ist damit im Vergleich zu 2021 um rund 70 Prozent gestiegen. Und das bei ohnehin recht hohem Niveau: Mehr als 40 Prozent aller unbefristet angestellten, aktiven Mitarbeitenden bei Nestlé gehören der Altersgruppe über 50 Jahre an.

Diskriminierung in allen Altersgruppen vorhanden

So weit ist Vodafone noch nicht. Bei diesem Telekommunikationskonzern sind derzeit gut 25 Prozent der Belegschaft über 50 Jahre alt, der Anteil der Ü50 an den Neueinstellungen lag 2022 bei knapp 5 Prozent. “Wir sind davon überzeugt, dass vielfältige Teams uns nicht nur bereichern, sondern auch erfolgreicher machen. Deshalb halten wir eine vielfältige Altersstruktur für richtig”, heißt es von Vodafone. Der Konzern macht aber auch darauf aufmerksam, dass Altersdiskriminierung nicht nur die U50, sondern alle Altersgruppen betrifft. “Man denke nur an die Aussage ‘Was will der Jungspund mir erzählen?'” Der Konzern setzt deshalb auf Seminare wie “Herausforderung der Generationen – Planung unterschiedlicher Lebensphasen”, die sich an Mitarbeitende aller Altersstufen wenden.

Und wie sieht die Belegschaft jüngerer Unternehmen aus? Immerhin ist Nestlé bereits 1866 gegründet worden, die Wurzeln von EnBW gehen auf 1989 zurück, die von Vodafone auf 1990. Fragen wir also bei Zalando nach, Gründungsjahr 2008 und mit einer ziemlich jungen Zielgruppe ausgestattet. Bei dem einstigen Rocket-Internet-Startup sind heute rund 14,8 Prozent der Mitarbeitenden älter als 50 Jahre. Bei den Neueinstellungen lag deren Anteil 2022 nur bei 3,6 Prozent. Man gehe jedoch davon aus, so der E-Commerce-Riese weiter, dass “diese Zahl in den kommenden Jahren natürlicherweise weiterwachsen wird”.

Tijen gdw portrait andreaheinsohnphotography muenchen 31 2
Tijen Onaran ist eine der bekanntesten und erfolgreichsten Diversity-Expertinnen. Foto: Andrea Heinsohn

Vermutlich aber nicht nur, weil die potenziellen Mitarbeitenden natürlicherweise immer älter werden, sondern auch, weil Zalando wie viele andere Unternehmen Best Ager inzwischen ebenso als Zielgruppe wie als Testimonial entdeckt – und damit älteren Semestern generell zu mehr Sichtbarkeit verhilft. Und genau das wird beim Kampf gegen Ageism dringend benötigt. Diversitätsexpertin Onaran bringt es auf den Punkt: “Wir sprechen immer über Role Models in puncto Geschlechtervielfalt, aber wo sind eigentlich die Age Influencerinnen und Influencer”?

Anja Sturm
Anja Sturm ist feste freie Fachautorin im Redaktionsteam der Career Pioneer. Seit mehr als 20 Jahren ist sie als Journalistin auf Marketing, Medien, New Work und Diversity spezialsiert. Sie war stellvertretende Chefredakteurin bei HORIZONT, bevor sie 2014 entschied, sich mit einem Redaktionsbüro selbständig zu machen. Sie schreibt seither für diverse Wirtschafts- und Fachmedien, moderiert auf Fachkongressen und liebt es, als Dozentin junge Menschen für die Medien- und Kommunikationsbranche zu begeistern.
CAREER PIONEER

In unserer Branche sind wir der erste Ansprechpartner im Bereich Karriere & Recruitment für Menschen und Firmen.

Talente finden. 
Karriere machen.

Kontakt

© 2022 CP.JOBS All rights reserved