Herr Lüdeke, immer mehr Unternehmen entdecken, dass ältere Mitarbeitende eine große Hilfe beim Kampf gegen den Fachkräftemangel sein können. War diese Klientel bislang unterschätzt?
Man hat es sich vielerorts leicht gemacht: Die Pipeline an gut ausgebildeten und vergleichsweise günstigen Young Professionals war lange gut gefüllt. Jetzt ist die Not groß. Vernachlässigt wurde auch oft, dass ältere Mitarbeitende einen großen Erfahrungsschatz mitbringen, der höhere Gehälter durchaus rechtfertigt.
Sie sind 41 Jahre alt. Wie definieren Sie “alt” am Arbeitsplatz?
Für mich ist “alt” eine Frage des Mindsets. Die Haltung zu lebenslangem Lernen, zur Digitalisierung, zu Veränderungen der Anforderungen ist relevanter als das Geburtsjahr. Es gibt genug Junge mit “altem Mindset”, also Mitarbeitende, die sich nicht bewegen wollen. “Alt” oder “jung” sind relative Begriffe, wenn es um den Einsatz am Arbeitsplatz geht. In vielen Unternehmen wird das aber leider noch anders gesehen.
Womit tun sich Unternehmen am schwersten?
Für eine möglichst langfristige Bindung fahren Arbeitgebende inzwischen einen großen Aufwand – vor allem bei der Arbeitsplatzgestaltung – und versuchen so, die Wechselmotivation zu reduzieren. Dennoch sind Wechsel nach kürzeren Zugehörigkeiten an der Tagesordnung. Dafür gibt es mehrere Gründe, aber zwei davon sind auffallend oft zu finden: Zum einen haben sich gerade in den Pandemie-Jahren viele für einen Wechsel in die Selbstständigkeit entschieden – in allen Altersklassen. Zum anderen sehen wir besonders bei jüngeren Kandidaten, dass immer weniger Frustrationstoleranz besteht. Da werden gerne mal drei, vier schnelle Jobwechsel damit begründet, dass irgendwas nicht ganz rund lief. Es geht nicht darum, sich alles gefallen zu lassen. Aber nur, weil man mit einer Entscheidung des Arbeitgebenden unzufrieden ist, muss man sich nicht gleich jedes Mal einen neuen Job suchen.
Die Top 5 der Argumente gegen ältere Mitarbeitende lauten aus Sicht vieler Arbeitgebenden: zu wenig digital-affin, zu unflexibel, zu kritisch, zu eigenständig und vor allem zu teuer. Alles Quatsch?
Oft wird auch noch “zu wenig operativ” erwähnt. Alle Punkte finde ich zu pauschal. “Zu unflexibel” und “zu kritisch” wird außerdem gerne der Generation Z vorgeworfen – auch wenn damit meist mangelnde Anpassungsfähigkeit gemeint ist. Aber auch hier ist eine pauschale Aussage falsch. Beim Thema Gehalt sieht das ein wenig anders aus. Wer viele Jahre im Job ist, hat in der Regel auch eine höhere Gehaltsvorstellung. Wenn die Differenz der jeweiligen Vorstellungen einfach zu groß ist, wird es schwierig, einen Kompromiss zu finden.
Altersdiverse Teams sind aber auch eine Herausforderung für die Führungskräfte. Sie haben mal geschrieben: “Führungskräfte sollten reflektiert und demütig genug sein, nicht immer der oder die Schlaueste im Raum sein zu wollen”. Wollen viele jüngere Führungskräfte gar keine alten Kollegen im Team haben aus Angst vor Besserwissern?
Die gibt es in jeder Generation. Ob jemand meint, alles schon erlebt zu haben oder ob jemand meint, die Weisheit gepachtet zu haben, weil er oder sie das an der Uni gerade ganz frisch so gelernt hat, ist letztlich egal. Stellt man aber ein generationenübergreifendes Team zusammen, muss man sich im Klaren sein, dass das auch eine Führungsaufgabe ist. Agile, weniger hierarchisch geführte Teams haben es hier sicher leichter.
Ist Altersdiskriminierung demnach vor allem ein Leadership-Thema?
Aus meiner Sicht ja. Die Führung diverser Teams ist für manch einen ungewohnt und unbequem. Für moderne Führungskräfte ist es aber eine Selbstverständlichkeit. Sie stellen diverse Teams auf, weil sie sich des Wertes unterschiedlicher Sicht- und Herangehensweisen bewusst sind, kurz: Sie tun es, um erfolgreicher zu sein.
Ageism hängt auch von Hierarchien ab. Top-Führungskräfte sind mit Mitte 50 noch okay, darunter hingegen gelten viele Mitarbeitende schon mit Mitte 40 als ziemlich alt. Wie doof ist das eigentlich?
Für Unternehmen wird es immer dann schwierig, wenn sie mit Mitarbeitenden nichts mehr anzufangen wissen, etwa weil sie in ihrer Entwicklung stehen geblieben sind und einfach nur an ihrem Stuhl festhalten. Gleichzeitig ist es Aufgabe der Arbeitgebenden, dafür zu sorgen, dass es dazu gar nicht erst kommt. Oft führt bei Unternehmen erst eine Krise dazu, dass solche Veränderungen angestoßen werden.