Harald Schirmer, immer mehr Frauen organisieren sich in Netzwerken, im eigenen Unternehmen, in Branchennetzwerken oder über Verbände. Sie haben sich vergangenes Jahr bereit erklärt, als Role Model für die Initiative WOL#FrauenStärken einzutreten. Wie kam es dazu und welche besonderen Erfahrungen haben Sie gemacht? Mir ist mehr Diversität aus vielen Gründen extrem wichtig. Es führt zu einem besseren Umgang mit komplexen Problemen in den Unternehmen, dafür braucht es Perspektivenvielfalt. Gemischte Teams können besser Kultur, Vertrauen, Beteiligung und Agilität gestalten. In meinen Augen gibt es noch viel zu wenig Frauen und Menschen mit „Besonderheiten“ in unseren Organisationen, der Politik, der Kirche oder der Wissenschaft.
Katharina Krentz hat als Mitarbeiterin von Bosch aus dem Unternehmen heraus übergreifend ein besonderes Netzwerk geschaffen, WOL#FrauenStärken. Daraus ist eine Art Bewegung geworden… Katharina Krentz und ich sind seit langem befreundet – natürlich wollte ich Sie in diesem großartigen Vorhaben unterstützen. In der ersten Runde war ich bereits als Teilnehmer dabei gewesen. Ich unterstütze diverse Netzwerke und Personen, wo ich kann. Dabei mache ich sehr positive menschliche Erfahrungen – Netzwerker:innen sind offen, neugierig, aufeinander zugehend – das Wir gewinnt!
Immer mehr HR-Profis und Unternehmen setzen auf die Methode Working Out Loud, die ja das Steckenpferd von Katharina Krentz ist und die vom Netzwerken lebt. Wieso schlägt das ausgerechnet jetzt so ein? Und was bedeutet das für den Arbeitsmarkt? Der klassische Arbeitsmarkt wird immer kleiner, Expert:innen sind gesucht – immer mehr wird in der digitalen VUCA Welt auch Vernetzungskompetenz, Empathie, Wertefestigkeit, digitale Reputation usw. benötigt. Die heute mögliche Flexibilität kombiniert mit digitalen Möglichkeiten eröffnet neue Bewerber:innenbereiche. Wenn intrinsisch motivierte Menschen gemeinsam sinnvolle Ziele verfolgen, werden sie als wirksame Zukunftsgestalter:innen erlebbar. Es kommen also Angebot und Nachfrage zusammen.
Wie hat Sie dieser Einsatz als männliches Role Model bei WOL#FrauenStärken bereichert und/oder verändert? Ich lerne ständig, arbeite seit mehr als 10 Jahren in einem größtenteils von Frauen geführten Organisationsentwicklungs-Team mit meist weiblichen Kolleginnen. Vorher war das Gegenteil der Fall – Elektronikentwicklung. Es ist oft bereichernd, hat natürlich auch menschliche Nachteile – bin mir aber noch nicht sicher, ob diese Nachteile aus Anpassung ans System passieren oder ob Frauen besser sein wollen als Männer, ihr Karrierehabitus oder auch die persönliche Haltung unterschiedlich sind. Meine Einstellung ist, wie oben beschrieben: Mehr Diversität und Arbeit mit bunten Netzwerken führen zu relevanteren und skalierbareren Ergebnissen.
Wie wichtig sind in Ihren Augen Frauennetzwerke, was können sie bewegen? Jegliche Art von Netzwerk ist mir erst einmal wichtig – je mehr wir alle das Netzwerken lernen, umso besser können wir alternative Formen für Führung, Entscheidungen, Gestaltung und Lösungen finden. Frauennetzwerke halte ich für sehr notwendig, da leider noch lange keine Balance hergestellt ist – gleichwohl würde ich ungern “nur” im gleichen System mehr Frauen sehen – das System (hierarchische Organisation) ist nicht mehr zeitgemäß und muss umgebaut werden. Müssen Frauen durch die gleichen Assessment Center und Prüfungen gehen, schlagen sie die gleichen Karrierepfade eine (all diese Strukturen wurden ja von Männern gemacht), besteht die große Gefahr der Assimilation. Das ist sehr oft zu sehen.
Was können sich Frauen hierbei von Männern abschauen, was können sie besser machen? Sie sollten sich nichts abschauen – sondern jede mutig die eigene Persönlichkeit entfalten, einbringen. Allerdings sollten sie sich noch mehr “zusammentun” und sich gemeinsam trauen, Grundsatzfragen zu stellen.
Wo stehen wir gerade, was Frauenpower in der Wirtschaft angeht? Skandinavische Länder werden zu Vorbildern mit ihren tollen Politikerinnen. Vereinzelt werden auch schon Vorständinnen sichtbar. Auch Quoten und Vorgaben (die ich persönlich nicht mag, ohne die aber scheinbar wenig Bewegung entsteht.) wirken langsam, aber spürbar.
Über Harald Schirmer
HR- und Netzwerk-Experte Harald Schirmer, seit 1989 bei Continental, ist verantwortlich für Digitale Transformation & Change in der Konzernpersonalfunktion. Seit 2017 ist er für New Work & den Aufbau einer Netzwerkorganisation verantwortlich. Seine Topthemen: nachhaltige Organisationsentwicklung, Beteiligung, Leading Change und interkulturelle Führung.