In vielen Stellenanzeigen wird immer noch die eierlegende Wollmilchsau gesucht. Personalerinnen und Personaler fordern eine ganze Latte von Kompetenzen ein und wundern sich dann, dass ihnen die Bewerbenden nicht gleich die Tür einrennen. Denn ihnen ist nicht bewusst: Übersteigerte Anforderungsprofile, wie sie gerade etablierte Unternehmen gern verfassen, sprechen nicht an – sondern schrecken ab. Erst recht in Zeiten des Fachkräftemangels, wo Jobsuchende und Wechselwillige eine Vielzahl von Offerten finden.
Gründe für die branchenübergreifend wachsende Personallücke gibt es viele. Zu den wichtigsten gehört jedoch der demografische Wandel, der sich in den kommenden Jahren weiter verschärfen wird. Bis 2036 wird sich die Zahl der aktuellen Erwerbstätigen um 30 Prozent verringern, was an den Babyboomern liegt, die allmählich in Rente gehen.
Obgleich die zunehmende Überalterung längst bekannt ist, “hat ein Viertel der Unternehmen noch keine Strategie, um auf die Folgen zu reagieren”. Zu diesem Ergebnis kam der Diversity Recruiting Report vom März 2023, für den Indeed und Glassdoor sowie das Ifo-Institut 554 HR-Verantwortliche befragten. Die übrigen Betriebe setzen auf flexible Arbeitszeitmodelle (82 %), Aus- und Weiterbildungsangebote (76 %) und die Bindung junger Beschäftigter (65 %).
Mit gerade einmal 22 Prozent landet die Förderung von Vielfalt auf dem fünften Platz. Dabei werden diverse Teams prinzipiell als positiv empfunden, und “die Mehrheit sieht in Vielfalt eine menschliche Bereicherung”. Wer Diversity Recruiting betreibt, findet auch rasch Beschäftigte. Fast die Hälfte der Befragten, die aus einem vielfältigen Talent-Pool schöpfen, besetzen freie Stellen in höchstens zwei Monaten: 18 Prozent benötigen vier Wochen, 30 Prozent ein bis zwei Monate. Von den Betrieben, die nicht auf Diversität achten, gelingt das nur einem Drittel.
Dos & Don’ts bei Jobanzeigen
Doch was braucht es, um die bislang ungenutzten Potenziale zu heben, zu denen auch die “stille Reserve” gehört? So werden über drei Millionen Menschen in Deutschland bezeichnet, “die aktuell ohne Beschäftigung sind, aber durchaus arbeiten wollen”. Diverse Stellenausschreibungen sind hierbei der erste Dreh- und Angelpunkt: Personalerinnen und Personaler sollten sie so formulieren, dass sich ein möglichst breiter Talent-Pool angesprochen fühlt. Dabei gilt es, auf eine Balance von männlich und weiblich konnotierten Begriffen zu achten oder solche zu verwenden, die weder mit dem einen noch dem anderen Geschlecht assoziiert werden. Beispiele für typisch männliche Attribute sind analytisch und durchsetzungsstark, für typisch weibliche dagegen teamfähig und zuverlässig.
Den Kreis der Bewerbenden schränkt besonders ein, wer ein übertriebenes Anforderungsprofil verfasst. Gerade Frauen neigen dazu, jede gelistete Kompetenz als unerlässlich einzustufen und das Jobangebot zu verwerfen. “Studien wie der Gender Insight Report Deutschland von LinkedIn zeigen, dass Frauen und Persons of Color sich seltener auf Stellen bewerben, für die sie nicht alle Anforderungen zu erfüllen glauben”, sagt Katerina Arsova, Head of Talent Acquisition von Leapsome, einer bekannten Personalentwicklungsplattform mit Sitz in Berlin. Um potenzielle Mitarbeitende nicht abzuschrecken, sollten Stellenausschreibungen nur die wichtigsten Skills umfassen oder in erforderliche und erwünschte, also Muss- und Kann-Kompetenzen unterteilt werden.
“Unternehmen sind gut beraten, bereits in ihren Stellenausschreibungen anzugeben, welche Werte die Organisation vorantreiben.”
– Katerina Arsova
Kandidatinnen und Kandidaten, die sich in Bewerbungsprozessen eher zögerlich verhalten, lassen sich auch direkt ansprechen und ermuntern. Personalerinnen und Personaler müssen lediglich in ein oder zwei Sätzen darauf hinweisen, dass Interesse an Bewerbungen etwa von Menschen mit Migrationshintergrund besteht. Um ihre Offenheit zu betonen, können Arbeitgebende auch die Charta der Vielfalt unterzeichnen und dies in die Jobanzeige integrieren. Bislang haben sich mehr als 4900 Unternehmen und Institutionen den sieben Grundsätzen der 2006 gegründeten Non-Profit-Organisation verpflichtet.
Zudem wollen Beschäftigte “zielgerichtet und wertorientiert arbeiten und suchen nach einer Tätigkeit, die ihren Moralvorstellungen entspricht”, so Arsova. “Unternehmen sind daher gut beraten, bereits in ihren Stellenausschreibungen anzugeben, welche Werte die Organisation vorantreiben, um das Zugehörigkeitsgefühl potenzieller Bewerbender zu stärken und einen möglichen Fit schneller zu identifizieren.”
Geschwindigkeit ist laut Diversity Recruiting Report derzeit ohnehin “das Gebot der Stunde auf dem Arbeitsmarkt”. Jobsuchende und Wechselwillige könnten aktuell aus etlichen Stellenangeboten wählen. Bewerbungsverfahren sollten so einfach wie möglich gehalten werden. Hürden im Bewerbungsablauf und zu langsame Entscheidungsprozesse brächten die Kandidatinnen und Kandidaten dazu, das Interesse an einem Unternehmen zu verlieren.
Auf das Mindset kommt es an
Zu den Tipps, wie sich Diversität als Erfolgsfaktor nutzen lässt, gehört auch eine vielfältig aufgestellte HR-Abteilung. Dabei handelt es sich um eine effektive Maßnahme, den sogenannten Thomas-Kreislauf zu durchbrechen – “das unterbewusste Handlungsmuster, dass deutsche Chefs sowie Personalverantwortliche hauptsächlich Kandidatinnen und Kandidaten einstellen, die ihnen selbst ähneln und vertraut sind”.
Die HR-Abteilung kann freilich nicht sofort divers besetzt werden. Deshalb ist es wichtig, diese Personen dahingehend zu trainieren, dass sie sich nicht von Vorurteilen leiten lassen. “Integratives Mindset fängt lange vor dem Bewerbungsprozess an”, sagt Arsova. “Unternehmen sollten dafür sorgen, Personalverantwortliche und -vermittelnde frühzeitig zu Vielfalt, Gleichberechtigung und Integration zu schulen.”
Bleibt die Frage, welche Branchen beziehungsweise Unternehmen sich bereits in diese Richtung entwickeln. Das verrät ein Blick auf das Glassdoor-Ranking vom Ende vergangenes Jahres: Unter den Top-25-Unternehmen in Deutschland, die sich am meisten für ein vielfältiges und inklusives Arbeitsumfeld einsetzen, belegt mit Salesforce ein Software-Gigant den Spitzenplatz. Außerdem finden sich in dem Ranking, das auf Bewertungen von Arbeitnehmenden basiert, elf weitere IT-Firmen. Auf den zweiten und dritten Platz hingegen schafften es Sartorius (Biotechnologie) sowie Bain & Company (Unternehmensberatung). Und obwohl sich im Bereich Diversity schon einiges getan hat, betont Arsova: “Wenn es darum geht, Unternehmen vielfältiger und integrativer zu gestalten, sind wir erst am Anfang.”